-- Moonlight of Darkness --
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 Wolf's Rain 2

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BeitragThema: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDi Okt 14, 2008 8:30 pm

Also, ich dachte, ich verweise einfach mal drauf hin ... Auf einer Wolf's Rain-Fanpage habe ich im Forum eine Fortsetzung zum Anime geschrieben. Die hier nochmal reinzustellen, ist mir zu kompliziert, daher - wenn's dir recht ist, Kiba - werd ich hier nur den Link zu dieser Seite angeben. Korrigier mich, wenn das falsch ist. Wink Solange wart ich dann damit noch mit der Adresse.

Die Geschichte ist natürlich noch längst nicht fertig, ich bin grad erst am Anfang, aber sie macht gute Fortschritte. Vielleicht interessiert's den ein oder anderen.

EDIT: Mit diesem Forum ist das grad so 'ne Sache, es stürtzt andauernd ab. Also nicht wundern, wenn sich die Seite immer wieder nicht öffnen lässt. Der Administrator dort sucht schon nach dem Problem, das dauert aber noch etwas.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 2:10 pm

Wow, du schreibst ne Fortsetzung zum Anime? Auf die Idee wär ich gar nicht gekommen. Respekt ^^
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 3:04 pm

Also wie soll ich das machen? Den Link einfügen (was ja laut Regeln nicht gestattet ist), oder die ganze Geschichte nochmal hier einfügen?
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 3:42 pm

Uii, du hast die Regeln gelesen *freu*
Du kannst ihn ja einfach reinkopieren (wenns nich zu viel arbeit ist) sonst denk ich kön mer hier ne Ausnahme machen und du kannst den Link reinstellen
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:06 pm

PROLOG

Das monotone Gebrüll der Autos und Busse summte über dem Asphalt. Bunte Regenschirme tanzten durch die Straßen. Ein feuchter Nebel hing über der Stadt, und in feinen Fäden nieselte der Regen vom grauen Himmel. Es war die Sorte von Regen, die man kaum spürt, von der man aber unmerklich bis auf die Haut durchnässt wird.
Der Junge ging eine breite Straße hinunter, an der sich die Hochhäuser empor türmten. Eine hekti­sche, gesichtslose Menschenmasse kam ihm entgegen und schob sich an ihm vorbei. Er schwamm unbemerkt in ihrem stummen Trubel. Sie merkten nicht einmal, dass er da war. Sie merkten nichts. Sie merkten nie etwas. Nicht einmal, wenn man ihnen die wertlosen Geldscheine aus den Taschen stahl, blickten sie auf. Ihre Sinne waren im Lauf der Zeit unter der Dunstglocke der Stadt abge­storben.
Er schlug den Kragen seines dunklen Mantels höher. Nicht, dass er gefroren hätte. Er konnte sich nicht daran erinnern, je gefroren zu haben. Vielleicht einmal, ganz am Anfang, als er aufgebrochen war. Aber seitdem nicht mehr. Nein, ihm war unwohl. Die Enge der Stadt und die Nähe zu all den Menschen machte ihn unruhig und stieß ihn ab. Aber er hatte keine Wahl gehabt. Etwas hatte ihn in diese Stadt geführt, ohne dass er recht wusste, was es war und warum. Seine Instinkte würden es schon wissen.
Er bog in eine der Seitengassen ein und seine dunkle Gestalt verschmolz mit den Schatten der triefenden Gemäuer. Flinke Schatten huschten über seine Schuhe und patschten trippelnd durch Wasserlachen. Je weiter er in die Gasse vordrang und je dunkler es wurde, desto leiser wurde der Lärm der Hauptstraße und desto ruhiger wurde auch er selbst. Irgendwo im Herzen der finsteren Gasse machte er Halt und ließ sich an der kalten Mauer hinab auf den feuchten Boden sinken. Sein Mantel sog die Feuchtigkeit auf, aber es störte ihn nicht. Hier war er vor der Stadt und ihren Be­wohnern, ihren Menschen sicher und verborgen. Keiner würde sich hierher wagen. Und keiner würde überhaupt erst auf den Gedanken kommen.
Er kauerte sich zusammen und schloss die Augen. Der dunkle, buschige Schweif legte sich wie ein wärmender Schal um seinen Körper. Doch obwohl er bald eingeschlafen war, horchten seine schlan­ken Ohren noch stets in das sanfte Plätschern des Regens hinein, immer nach Schritten horchend, die sich ihm nähern könnten.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:07 pm

KAPITEL 1

„Ein Überfall, sagen Sie? Wo denn dieses Mal?“
„Im Industrieviertel bei den Wassertanks. Wie letztes Mal auch“, kam die müde Antwort am ander­en Ende der Leitung. „Sie brauchen nicht erst her zu kommen. Die Diebe sind eh über alle Berge, und wir sichern hier nur noch die Spuren ... Morgen haben Sie den Zwischenbericht in Ihrem Fach.“
Vikki Acovone sammelte die Akten und losen Blätter auf ihrem Schreibtisch zusammen und ordnete alles auf einem Haufen, während sie mit dem Beamten am Telefon sprach. Wenn sie nicht bald Ordnung auf ihrem Tisch schaffte, würde dort gar kein weiterer Bericht mehr Platz finden ... Und wenn, dann würde sie ihn erst gar nicht bemerken.
„Gut, danke.“ Vikki legte auf und lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Nach Stunden in ihrem Büro brannten ihr die Augen vor Müdigkeit. Ein Blick auf die Uhr ließ sie aufschrecken. Halb 11 schon durch. Ihr Treffen mit Sid wäre um 9 gewesen. Sie stützte den Kopf in die Hand und fing an zu lachen, ohne recht zu wissen, warum. Sie würde ihren Onkel morgen anrufen, aber jetzt konnte sie beim besten Willen nichts anderes mehr tun, als den Weg nach Hause in ihr Bett zu finden. Wie auch immer sie sich an diesen langweiligen Akten so hatte verbeißen können, dass sie Sids Ein­ladung vergessen hatte.
Draußen auf der Straße herrschte bereits das nächtliche Treiben der Stadt, also hastete Vikki raschen Schrittes zu ihrem Wagen, der wenige Meter neben dem Haupteingang der Polizeiwache am Bord­stein parkte. Sie griff nach ihrem Schlüssen und wollte gerade die Wagentür öffnen, als von der an­deren Straßenseite ein Geräusch wie von einem berstenden Druckventil herüber wehte. Nur wenige Sekunden später huschte der Schatten einer Katze zwischen den Mauern hervor und eilte gehetzt über die Straße. Vikki fiel auf, dass sie stark humpelte und dass das Fell an den Flanken des Tieres im fahlen Licht der Straßenlaternen rötlich schimmerte, aber sie führte es auf ihre Übermüdung zu­rück. Als sie jedoch gerade in ihren Wagen gestiegen war, erklang des Geräusch des Ventils noch einmal, dieses Mal lauter und stärker. Als wäre es näher gekommen. Sie blickte in die Gasse, aus der der Laut gekommen war, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Die Hände um das Lenkrad geschlossen, saß sie halb auf dem Sitz, halb in der geöffneten Fahrertür und starrte etwas ratlos in die Seitenstraße hinein. Wenn sie ehrlich war, hatte das nicht nach einem überlasteten Ven­til geklungen. Sie ließ den Zündschlüssel stecken und trat wieder auf die Straße hinaus. Ein paar Nachtschwärmer blickten sie ihm Vorübergehen mit jener Mischung aus Neugierde und Abschätz­ung an, die sie jedes Mal am liebsten nach ihrer Marke greifen ließ, um ihnen diesen Blick vom Ge­sicht zu wischen. Aber die Gestalten zogen wortlos an ihr vorüber und verschwanden hinter der nächsten Ecke. Nun streifte nur noch ein herrenloser Hund an der heruntergekommenen Häuserfas­sade entlang und schnupperte in den Ecken. Sein dunkelbraunes, feuchtes Fell hing im in zottigen Strähnen herunter. Noch immer stand Vikki unentschlossen neben ihrem Auto und beobachtete den Hund. Er war plötzlich aus der Gasse aufgetaucht. Wahrscheinlich hatte er an dem Ventil genagt und es dabei gelöst.
Der Hund wandte sich nun von der Fassade ab und kam vorsichtig auf sie zu. Sein buschiger Schweif wedelte ruhig hin und her, und keine Spur von Angst stand in den leuchtend gelben Augen. Vikki betrachtete ihn genauer. Er war so groß. Obwohl seine Züge und sein verspieltes Verhalten in ihm einen jungen Hund zeigten, hatte er bereits den Körperbau eines ausgewachsenen Tieres. Als er vor ihr stand und anfing, an ihren Händen zu schnuppern, als wären sie seine und dies sein gutes Recht, musste sie lächeln und stupste den Hund mit der geöffneten Hand leicht zurück. Das Nackenfell des Hundes sträubte sich und aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren. Zu tief für einen Hund. Vikki wich langsam einige Schritte zurück, bis sie mit dem Rücken gegen die immer noch geöffnete Autotür stieß. Der Hund folgte ihr, bloß schneller. Seine Schritte wurden energischer und seine Augen weiteten sich. Jetzt erst merkte Vikki, dass nur eines seiner Augen gelb war. Das andere leuchtete in einem gespenstischen blau. Währen sie sich noch fragte, wie das sein konnte, setzte der Hund schon zum Sprung an. Sie fing an zu schreien.

Nur wenige Sekunden später war der Hund wieder in der Gasse verschwunden. Der mattgelbe Lichtkegel der Laternen reichte nur wenige Meter weit, danach zerfranste alles im Dunkel, aber was der einsame Wanderer vor sich auf der Straße sah, reichte ihm bereits. Alarmiert rannte er zu dem reglosen Körper, der vor der geöffneten Autotür auf der Straße lag. Aus Hals und Schulter troff in zähen Flüssen Blut und tränkte die Bluse der Frau. Fassunglos starrte der Mann auf das grauenhafte Bild. Sein Blick fiel auf die Straße. Die Abdrücke riesiger krallenbewehrter Pfoten sprenkelten den Asphalt, zu dunkel selbst für diese Nacht. Wasser war das nicht. Die blutigen Klauen führten aus dem Laternenlicht ins Dämmer der Gasse und verschwanden dort.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:08 pm

KAPITEL 2

Das kleine rosa Mäulchen des Katzenbabys verzog sich zu einem bettelnden Fiepen. Mit der Pfote haschte es nach dem Teller, der vor ihm abgesetzt wurde, und tauchte seine Zunge gierig in die Milch. Toboe blickte lächelnd auf seinen neuen Mitbewohner, den er vor einer knappen Woche in einem Pappkarton ausgesetzt auf der Straße gefunden hatte. Er hatte es nicht übers Herz können, den jungen Kater, wie er später festgestellt hatte, im Regen sitzen zu lassen. Seitdem lebte er mit dem Kleinen in einer der vielen leerstehenden Wohnungen im Süden der Stadt. Das Zimmer, in dem er sich eingerichtet hatte, lag im ersten Stock und ging auf eine schmale Straße hinaus, in der sich die Ratten tummelten. Auf diese Weise musste er wenigstens selten Hunger leiden. Milch für den Kater aufzutreiben, war dagegen schon schwerer.
Toboe drehte unruhig an den Ringen an seinem Handgelenk, während er dem Kleinen beim Trinken zusah. Er konnte es nicht erklären, aber seit zwei Tagen war er ungewöhnlich nervös und horchte auf jedes Geräusch. Nicht, dass er das nicht schon immer getan hätte, aber nun fiel es ihm sogar auf.
Er stand auf und ging neben dem Kater in die Hocke. Sanft strich er über das struppige weiße Fell des Tieres und hob es auf Augenhöhe zu sich hoch.
„Hey, du wirst mal kurz ohne mich auskommen müssen. Ich geh weg, aber gegen Mittag bin ich wieder da. Versprochen.“ Etwas lächerlich kam er sich schon vor, dass er mit einer Katze sprach, die seine Wolfslaute eh nicht verstehen würde, aber der Kater war nun einmal der Einzige, mit dem er sich unterhalten konnte. Da machte es auch nichts, dass er keine Antwort bekam. Hauptsache, er konnte reden, einfach reden, wie es aus ihm herauskam.
Als er aus dem kalten Treppenhaus auf die morgendliche Straße trat, folgte er einfach dem Weg ins Stadtzentrum, ohne wirklich zu wissen, was er dort wollte. Wie immer lag ein leichter Nieselregen in der Luft. Vorbei an heruntergekommenen Fassaden und vernagelten Fensterläden ging er die Straße hinab. Einige Fahrradfahrer waren bereits unterwegs, aber sie bogen in andere Straßen ab und es blieb still. Nur die heiseren Schreie der Dohlen und das ferne Brummen und Sirren der Fahr­bahnen hallten über das Viertel. Ganz in der Nähe erklang das Scheppern einer Mülltonne, die ein verwilderter Hund oder ein Fuchs auf der Suche nach Nahrung umgestoßen hatte.
Schließlich gabelte sich vor ihm der Weg. Rechts dehnte er sich zu einem kreisrunden Platz aus, auf dem sich die wenigen Cafés der Stadt reihten, die noch nicht hatten schließen müssen. In der Mitte des Platzes lag ein breiter, flacher Brunnen, in dem mehr rostige Münzen lagen als Wasser floss. Als Wasserspeier diente ein dreieckiger Obelisk, der sich mehrere Meter über den Brunnen erhob. Noch war der Platz leergefegt, nur einige einsame Gestalten lagen unter dicken Decken oder unter Kart­onscheiben vergraben im Halbschatten der Fassaden. Noch nicht einmal die Tauben wirbelten durch die Luft, nur links floss ungerührt ein schmaler Kanal durch die Stadt.
Toboe blickte sich verwundert um. Er hatte nicht die geringste Ahnung, warum seine Füße ihn hier­her geführt hatten. Dennoch lief er weiter und hielt schließlich vor dem Brunnen. Unwohl blickte er sich um. Er hatte schon öfters auf diesem Platz nach Abfällen aus den Cafés gesucht und sogar ge­bettelt, war aber meist vertrieben worden.
Er senkte den Kopf und blickte in die Wellen, die der Speier im Brunnen warf. Ihm war, als würde sich das Wasser neben seinem Schatten verdunkeln, so als stünde dort noch jemand. Aber als er sich umdrehte, war dort niemand. Verwirrt rieb er sich die Schultern und ging an den Schaufenstern der Cafés zurück zu der Straße, aus der er gekommen war. Mit einem Mal kam er sich dumm vor. Wieso war er überhaupt hierher gekommen? Und wer hatte schon vor einem Schatten Angst? Aber der Anblick der radgroßen Brotlaibe und Schneeballen in den Fensterauslagen lenkte ihn von seinen Gedanken ab, und so merkte er nicht, dass ihm tatsächlich jemand folgte.
Als Toboe durch das Treppenhaus wieder in sein Zimmer kam, schien die Sonne direkt durch das Fenster herein, sodass er anfangs gar nicht bemerkte, dass dort schon jemand in der Ecke saß. Erst als er sich nach dem leeren Milchteller bückte, erkannte er in dem harten Schatten der Wand einen zweiten, schmaleren Schemen. Ein junger Mann saß dort an der Wand, die Beine angewinkelt und die Arme vor den Knien verschränkt. Er trug eine dunkle kurze Jacke über einem schmutzigen weißen Hemd und seine braunen Haare hingen ihm wirr in die Stirn. Sein Blick war wachsam auf Toboe gerichtet, aber er blickte nicht unfreundlich. Im Gegenteil, tief in seinen Augen schien ein be­ruhigendes Lächeln zu liegen. Es waren Wolfsaugen, wie Toboe verblüfft feststellte.
„Was machst du hier?“, brachte er schließlich hervor. „Hör mal, hier gibt’s genug leere Wohnungen. Also wenn du was suchst, nimm dir eine.“ Er versuchte, seine Unsicherheit mit Wut zu überspielen, aber die Augen des anderen schienen ihn förmlich zu durchleuchten. Er starrte unsicher zurück. Es war lange her, dass er mit einem anderen Wolf gesprochen hatte.
„Ich suche keine Wohnung“, kam die Antwort. Der fremde Wolf hatte eine angenehme, ruhige Stim­me, die Toboe vor Augen führte, dass er grundlos so angriffslustig geworden war. Er senkte den Blick.
„Nein, ich habe dich gesucht. Oder jemanden wie dich“, fuhr der andere fort und stand dabei auf. Er überragte Toboe um einen ganzen Kopf. „Ich bin gestern Abend hier vorbeigekommen und habe einen Wolf gerochen. Ich wusste nicht, dass du es warst, ich habe nur diesen Wolf gesucht.“
Toboe blickte ihn verständnislos an. „Wieso ... Kennen wir uns irgendwo her?“
„Du erinnerst dich nicht mehr?“
Toboe zuckte mit den Schultern.
Der junge Mann seufzte und blickte aus dem Fenster. „Du bist Toboe. Stimmt's?“
Der Junge musste grinsen. Natürlich, er hielt sich für ganz schlau. Jemand hatte ihm seinen Namen genannt. „Von wem hast du das?“
„Ich spreche nicht mit Menschen.“ Seiner Stimme konnte man anhören, dass er es ernst meinte. Und dass er allmählich ungeduldig wurde. „Hör mal, ich denke mir das nicht alles aus. Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung, warum ich mich überhaupt mit dir treffe. Glaub mir, ich wäre jetzt gerne woanders. Aber ich habe das Gefühl, wir sollten alle Wölfe in der Stadt zusammenrufen. Du warst nur der erste auf meiner Liste.“
Toboe verzog die Stirn. „Und wieso das?“
„Heute Nacht ist eine Frau von einem Hund angefallen worden.“
„Und?“
„Es war kein Hund.“
„Ein Wolf? Welcher Wolf würde denn einen Menschen angreifen?“
„Genau das meine ich.“ Der Wolf blickte sich in dem Zimmer um. „Du brauchst nichts mitnehmen. Wir brechen sofort auf.“ Und damit ging er bereits zur Tür.
„He, Moment mal!“, rief Toboe. „Ich kann doch die Katze nicht allein lassen ... Und wo willst du denn hin? Warte!“ Er packte den kleinen Kater und lief dem Wolf hinterher, der schon im Treppen­haus stand. „Du kannst mir ja wohl nicht befehlen, einfach so mit dir zu gehen.“
Der andere drehte sich um und blickte ihm nur ernst in die Augen. Eine leise Drohung funkelte in­zwischen in seinem Blick. „Du kommst mit. Aber die Katze bleibt hier.“
„Sicher nicht“, entgegnete Toboe und lachte ihm ins Gesicht. „Er bleibt bei mir. Wenn ich mitkom­men soll, dann bleibt er bei mir.“ Er starrte dem anderen angespannt in die Augen und wartete auf eine Antwort. Aber schließlich zuckte er nur mit den Schultern und verschwand auf der Treppe. Toboe verdrehte genervt die Augen. „Warte mal. Wie heißt du eigentlich?“
„Kiba“, kam die Antwort aus dem Erdgeschoss. Toboe nickte nervös und folgte ihm dann hinunter auf die Straße.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:08 pm

KAPITEL 3

Der graue Wolf rannte im Schatten der rissigen Mauern am Ufer des Kanals entlang. Welkes Laub und Unrat der Menschen trieben stinkend in dem verschmutzten Wasser, sodass er nur flach atmen konnte. Er hasste diesen Geruch. Aber er brauchte ihn, weil er die Stadt brauchte.
Abseits der großen Menschenmassen trabte Tsume unter der matten Mittagssonne am Kanalufer entlang. Er genoss die Stille und das Sonnenlicht, das wärmend auf seinem Rücken lag. Aber nagte der Hunger an ihm: Vor drei Tagen hatte er das letzte Mal etwas zwischen die Zähne bekommen. Seitdem hatte er sich mit Mäusen und Dohlen begnügen müssen. Den Abfall aus den Mülltonnen zu scharren, hatte er nicht über sich gebracht.
Tsume war auf seiner Suche nach Nahrung in die Nähe einer der vielen Müllhalden gekommen, die sich überall in der Stadt türmten. Er hatte nicht vor, im Abfall zu wühlen, aber vielleicht fand sich dort etwas, das noch lebte und das man fressen konnte.
Ein leises Schnaufen und das Trippeln kleiner Pfoten ließ den grauen Wolf aufhorchen. Seine Ohren schnellten gespannt nach vorne, und sein Blick glitt über die hässlichen verrottenden Müllberge, die die Menschen im Lauf der Zeit aufgetürmt hatten. Allein dafür hasste er die Halden schon, dass sie ein Werk der Menschen waren.
Er verlagerte sein ganzes Gewicht auf die Vorderbeine und sprang mitten in einen flachen Hügel hinein, der unter ihm zusammenbrach. Eine Familie plumper Waschbären, die dort nach Fressbarem gescharrt hatte, rannte sofort schreiend und strampelnd in alle Richtungen fort und versuchte, sich zwischen dem umher rollenden Müll in Sicherheit zu bringen – aber Tsume war schneller. Seine Kiefer schossen blitzschnell nach links, nach rechts. Die Zähne gruben sich in die pelzigen Nacken der Waschbären und zerbrachen die Wirbel wie trockene Äste. Warmes Blut tropfte ihm ins Maul. Es war eine Wohltat nach drei Tagen ohne Nahrung, regte seinen Hunger aber nur noch mehr an.
Während er sich über den ersten Waschbären hermachte, hörte er plötzlich das leise Geräusch von schabenden Krallen auf sich zukommen. Er blickte auf und begann warnend zu knurren. Ein ander­er Wolf stand nun dort, wo gerade noch der Müllberg gelegen hatte, und blickte ihn neugierig an. Sein Fell war von einem cremefarbenen Hellbraun, und im Gegensatz zu Tsume selbst schien er in den letzten Wochen nicht hatte hungern müssen. Vielleicht täuschte sein dickes Fell dies aber auch nur vor. Er ignorierte Tsumes Knurren und kam schweifwedelnd näher. Das Knurren wurde tiefer, aber als der andere immer noch nicht reagierte und dann sogar an einem der erlegten Waschbären schnupperte, wurde es Tsume zu viel. Er sprang und warf den überraschten Wolf zu Boden, der auf dem Rücken landete. Mit gebleckten Zähnen starrte Tsume auf ihn herunter. „Mach, dass du ver­schwindest!“
Der Braune stieß ein unterwürfiges Winseln aus und wischte mit seiner Rute beschwichtigend durch den Staub. Tsume wollte gerade von ihm ablassen, als er merkte, dass das Winseln nur ein unter­drücktes Lachen war, dass der andere Wolf krampfhaft zu verbergen versuchte. Er machte sich über ihn lustig. In seinem Stolz verletzt rammte Tsume ihm seine Pfoten in die pelzige Kehle und fun­kelte wütend auf ihn hinunter. „Was ist so witzig daran?“
Das Lachen auf den Lefzen des Braunen verschwand und machte einem unsicheren Grinsen Platz. „Nichts. Ich hatte bloß Hunger.“
„Dann fang dir selber was. Los, hau ab.“
Der andere schielte ihn von unten an. „Dazu müsstest du erst mal von mir runter.“
Tsume knurrte, ließ den Wolf aber los. Der rappelte sich rasch auf und trabte einige Schritte weit, bevor er sich wieder umdrehte. Seine Augen hingen sehnsüchtig an den toten Waschbären, aber der graue Wolf stand zwischen ihm und der Beute und hatte auch noch warnend seine Nackenkrause aufgestellt. Er legte bittend den Kopf auf die Seite, aber der Graue wandte sich bereits um und nahm die Schwänze der Kadaver ins Maul, um sie davonzutragen. In dem Braunen stieg der Futter­neid auf.
„Komm, sei doch nicht so gemein“, rief er Tsume hinter. „Einen wirst du mir sicher abgeben kön­nen.“ Und er folgte dem Grauen in gebührendem Abstand.
Tsume versuchte, den Wolf zu ignorieren, aber als er schließlich in seinem Versteck im Vorhof eines verfallenen Lagerhauses angekommen war und der andere ihm immer noch folgte, musste er über so viel Unverfrorenheit fast schon lachen. Er ließ seine Beute auf die Stufen vor den Nebeneingang zum Lager fallen und ließ sich dort nieder. Abwartend blickte er auf den braunen Wolf herunter, der im tänzelnd auf den Hof gefolgt war und ihn nun begierig anstarrte.
„Hey du. Ich heiße Hige. Und wie nennt man dich?“
Der Graue blickte nur schweigend zurück und machte sich dann über seine Beute her, allerdings nicht, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
Hige schüttelte frustriert den Kopf. „Krieg ich jetzt was?“, kam die hungrige Frage.
„Nein.“
„Du weißt doch genauso gut wie ich, wie schwierig es ist, hier was aufzutreiben.“
„Ja.“
„Dann gib mir wenigstens einen von denen ab.“
„Nein.“
„Wieso nicht?“
„Weil ich sie gefangen habe.“
Hige wurde immer unruhiger. Ungeduldig lief er vor den Stufen auf und ab. „Und wenn ich mir trotzdem einen nehme?“
Ein abschätziges Lachen drang aus Tsumes Kehle. „Das würdest du nicht tun.“
Der braune Wolf blieb mitten im Schritt stehen und blickte dem Grauen gereizt in die Augen. „Wenn ich etwas hasse, dann sind es Artgenossen, die sich aufspielen, als wären sie Menschen. Nur, weil du kein eigenes Revier hast, musst du deinen Frust nicht an mir auslassen.“
Eine Welle der Wut schlug in Tsume hoch. Er erhob sich und sprang die wenigen Stufen in einem Satz hinunter, sodass er direkt vor dem Braunen landete. Seine Kiefer zitterten, während er ver­suchte, sich zurückzuhalten. Seine Stimme klang gepresst. „Zum letzten Mal. Hau – endlich – ab!“
Da täuschte der Braune einen Angriff vor und nutzte die Gelegenheit, während Tsume perplex mit den Kiefern ins Leere schnappte, um sich einen der Kadaver auf den Stufen zu schnappen. Mit dem schlaffen Körper im Maul floh Hige aus dem Innenhof des Lagers, aber obwohl Tsume keine Nasenlänge hinter ihm war, dachte er nicht daran, seine Beute fallen zu lassen. Er rannte am Kanal entlang und setzte über eine Brücke hinweg, ohne zu merken, dass er sich dabei einer der belebten Hauptstraßen näherte. Und so rannte er wenige Meter später aus dem Schatten einer Gasse und stand plötzlich mitten im geschäftigen Treiben der Menschenmasse. Erschrocken sprang er ins Dun­kel der Straße zurück und hoffte, dass ihn niemand gesehen haben möge.
Nur Sekunden später trat ein Junge in dunkelgelbem Kapuzenhemd und einer zu weiten, ausge­waschenen Jeans aus der Gasse und mischte sich unauffällig unter die Masse. Die hellbraunen Haare hingen ihm verschwitzt in die Stirn. Unter dem Arm trug er ein pelziges Knäuel, das er dicht an den Körper presste. Aber er machte sich umsonst Sorgen, dass der tote Waschbär jemandem auf­fallen könnte; es achtete sowieso kein Mensch auf ihn. Wie meistens. Vorsichtig schielte Hige über die Schulter zurück zu der Gasse, aber der andere war ihm nicht gefolgt. Seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen. Er hatte den unausstehlichen Grauen abgehängt.
Gerade als er wieder in der nächsten Seitenstraße verschwinden wollte, tauchte von dort wie aus dem Nichts ein Mann auf und stieß ihn wortlos wieder auf die Straße hinaus. Hige stolperte und starrte den anderen verwirrt an, bis er merkte, dass die kalten goldenen Augen, die ihn ungemütlich anstarrten, dieselben waren, vor denen er gerade geflüchtet war. Er hatte den Typen doch abge­hängt! Hektisch blickte er sich nach einem Möglichkeit zur Flucht um, aber überall waren nur Menschen und Autos und Fahrradfahrer, und wenn er durch diese Masse geflüchtet wäre, hätte er womöglich noch einen Unfall verursacht. Die Hand des grauen Wolfes packte seine Schulter wie einen Schraubstock und schob ihn unnachgiebig vorwärts. Zähneknirschend blickte Hige zu Boden und ließ sich von dem anderen durch durch die belebte Straße führen, während er sich verärgert fragte, wie der hatte wissen können, wo er auf ihn warten musste. Bis jetzt war er noch jedem ent­wischt, dem er die Beute unter der Nase weggestohlen hatte. Das hier war neu.
Wenige Meter weiter bogen sie dann in die nächste Seitenstraße ein, die allerdings, wie Hige schnell bemerkte, eine Sackgasse war. Der Graue stieß ihn in den Schatten der Mauern und stellte sich dann mit verschränkten Armen vor den Ausgang, sodass Hige nicht entwischen konnte.
„Gut, ich nehme alles zurück. Du hast dich getraut.“ Seine Stimme klang belustigt wie die eines Er­wachsenen, den die Fragen eines Kleinkindes über die Welt nur amüsieren können. Hige knurrte missmutig und warf den Kadaver des Waschbären schließlich vor den Füßen des Wolfes in den Staub.
„Na schön, du kannst ihn wiederhaben.“
Der andere schnaubte abschätzig. „Als ob ich das jetzt noch anfassen würde.“
„Wieso hast du mich dann gejagt?“
„Prinzip, schätze ich.“
Hige starrte sein Gegenüber an. Der Mann war größer, zu groß für ihn. Auf einen Kampf mit ihm würde er sich nicht einlassen. Einige Sekunden standen sie sich wortlos gegenüber, und Hige nutzte die Zeit, um ihn sich genauer anzusehen. Die Haare waren kurz geschnitten und bereits ergraut, was in den Städten durch die schädlichen Einflüsse keine Seltenheit war, und endeten in einem kurzen Zopf, was Hige etwas lächerlich fand. Hose und Jacke waren aus schwarzem Leder und mit silber­nen Nieten verziert. Die hellen Augen blickten musterten Hige abfällig.
Nervös kratze der Junge sich am Kopf. „Und was sollen wir jetzt seiner Meinung nach tun?“
Der Mann kam betont langsam auf ihn zu. Er lächelte und entblößte dabei seine schimmernden Eck­zähne. Hige wich zurück, und da erst fiel ihm die breite kreuzförmige Narbe auf, die sich über die Brust des Mannes zog. Er schauderte. Aber als er mit dem Rücken gegen die kalte Mauer hinter sich stieß, stieg plötzlich die Wut in ihm auf. Der andere war nur so lange stark, wie er sich schwach fühlte.
Nur Bruchteile einer Sekunde später fegten sie ineinander verkrallt durch den Staub. Krallen blitzen und Kiefer schnappten. Hige jaulte schmerzerfüllt, als der Graue nach seinem Ohr haschte und es mit einem blitzschnellen Ruck in Fetzen riss. Aber Schmerz und Wut weckten ungeahnte Kräfte in ihm. Ohne lange zu überlegen, schnappte er nach der Pfote des Wolfes und rammte seine Zähne in die empfindliche Stelle. Der Graue brüllte auf und befreite sich mit einem panischen Ruck aus Higes Kiefern. Durch den Schwung verlor er das Gleichgewicht und sackte kurz zusammen, bevor er sich wieder über Hige aufbäumte. Knurrend und beißend haschten die Wölfe nach der Kehle des anderen und überhörten in ihrem Rausch die tiefe Sirene der Hundefänger. Als Hige auf der Flucht vor Tsume aus der Gasse geschnellt war, hatte ihn doch jemand gesehen und die Einsatzkräfte ge­rufen, um den vermeintlichen streunenden Hund einzufangen. Für Menschen war der Laut der Sire­ne klar und deutlich. Da sie aber in ihrer wahren Gestalt kämpften, waren beide Wölfe taub für das Horn des schweren tarnfarbenen Lasters, der sich der Gasse auf der Hauptstraße näherte, und als sie die hektischen Schreie der Männer hinter sich hörten, war der Ausweg bereits durch den riesigen Laster versperrt.
Mit einem Satz ließ Tsume von Hige ab und bleckte den Menschen seine Zähne ins Gesicht, aber sie ließen sich davon nicht beeindrucken. Die Männer rannten auf ihn zu und hoben ihre Schlag­stöcke zum Schutz vor seinen ungezielten Bissen. Der Wolf entdeckte eine Lücke in der mensch­lichen Mauer und hastete darauf zu, aber durch die verwundete Pfote kam er nicht weit. Harte Schläge prasselten auf ihn nieder und nur Sekunden später hatten sich seine Krallen in einem eng­maschigen Stahlnetz verfangen. Tsume scharrte verzweifelt und brüllte seine Wut hinaus, aber er verfing sich dadurch nur noch weiter in den starken Seilen, die ihm empfindlich in die Haut schnit­ten. Als sich die Schatten der Fänger über ihn senkten und ihn unsanft auf die Ladefläche des Las­ters warfen, knurrte er nur noch verärgert. Zwei flinke Hände wickelten einen Gurt um seine Schnauze, sodass er nicht mehr um sich beißen konnte, und zogen dann raschelnd eine Plastikplane über ihm. Die Gestalten über ihm verschwanden, und er war mit seinem Zorn allein. Sein ganzer Körper tat dem Wolf von den Hieben der Stöcke weh, aber was am meisten schmerzte, war sein verletzter Stolz. Er kniff die Augen zusammen. Der Braune musste entwischt sein, denn als der Laster anfuhr, lag er alleine auf der zugigen Ladefläche unter der kalten Plane und spürte nur noch den pochenden Schmerz in seiner Pfote. Er würde abwarten und flüchten, wenn sich die nächste Gelegenheit bot.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:09 pm

KAPITEL 4

Hige rannte vor dem Lärm der Menschenmassen davon. Der Schrecken saß ihm noch tief in den Gliedern, und das zerfetzte Ohr vernebelte ihm die Sinne. Vor Schmerz hätte er heulen mögen, aber er musste weiter, weg von der Hauptstraße. Er wollte nicht auch noch von den Fängern geschnappt werden.
Zitternd erreichte er eine schmale, dunkle Straße, an der sich die Häuser in die Höhe schoben. Dort war niemand unterwegs, nur die Ratten huschten flink am Bordstein entlang. Hige folgte dem Lauf der Gasse und trottete einfach geradeaus. Sein Herzschlag beruhigte sich im kühlen Schatten, den die alten Mauern warfen, und schließlich ließ er sich unter einem Treppensatz nieder. Vorsichtig leckte er an seinen Wunden und dachte dabei voller Genugtuung an den grauen Wolf, der den Fäng­ern nicht hatte entwischen können. Es war ihm recht geschehen. Was hatte der Kerl sich überhaupt gedacht, wer er war. Ein Waschbär. Einer. Mehr nicht! Sein Magen knurrte immer noch empfind­lich, aber er versuchte, seinen Hunger zu überhören.
Hige fuhr mit der Zunge über eine Bisswunde an seinem Lauf, als er plötzlich schräg über sich ein leises Schaben hörte. Sein Kopf fuhr herum und er blickte angespannt nach oben, wo in die Mauer des Hauses ein breites Abflussrohr eingelassen war. Aus dem Dunkel des triefenden Rohres drangen Stimmen zu ihm heraus, die sich leise miteinander unterhielten. Hige wollte kein Risiko eingehen, und so saß keine Sekunde später der Junge von der Hauptstraße dort, wo gerade noch der Wolf ge­kauert hatte. Schon schob sich eine Gestalt mit den Beinen voran aus dem Rohr heraus und sprang behände herab. Der junge Mann, der etwas älter als Hige selbst sein musste, schien nicht überrascht zu sein, einen mit Bissen verwundeten Jungen unter einer Treppe hocken zu sehen; im Gegenteil, er schien vielmehr erleichtert, als hätte er gefunden, wonach er gesucht hatte. Hige wäre am liebsten gleich wieder geflüchtet, weil auch dieser ein Wolf war. Und mit Artgenossen hatte er heute schon genug zu tun gehabt. Aber gerade als er sich aufrappeln wollte, tauchte aus dem Rohr über ihm ein zweiter Junge auf, ein Wolf wie der erste, der nicht weniger überrascht auf ihn herabblickte, wie Hige zu ihm herauf. Hige meinte, den Jungen schon einmal gesehen zu haben, konnte sich aber nicht mehr erinnern, wo. Die Stadt war so schon groß genug, um sich darin zu verirren. Das junge Gesicht mit dem kinnlangen braunen Haar kam ihm aber seltsam vertraut vor.
Hige räusperte sich unsicher. „Sucht ihr wen?“
Der ältere der Wölfe blickte ihn nachdenklich an. „Nicht mehr.“
Hige starrte wenig begeistert zurück. Die Wunden schmerzten immer noch, und ihm war gerade nicht nach Gesellschaft. Außerdem hatte er immer noch fürchterlichen Hunger. „Was wollt ihr von mir?“
Der Junge mit den braunen Haaren hangelte sich vorsichtig aus dem Rohr heraus und erst jetzt sah Hige, dass er ein weißes Katzenbaby unter dem Arm trug, das in eine Decke gewickelt war und un­ruhig mit den Pfoten zappelte. Hige runzelte die Stirn. Ein Wolf, der mit einer Katze zusammen­lebte, war mehr als ungewöhnlich; und um ehrlich zu sein, war Hige die Gegenwart von Katzen immer unbehaglich gewesen. Irgendetwas unheimliches hatten sie an sich, aber er konnte beim besten Willen nicht sagen, was.
Der Junge trat neben den anderen Wolf und strich der Katze flüchtig über den Kopf. „Ich bin Toboe, und das ist Kiba. Er ist auf der Suche nach Wölfen in der Stadt.“
Hige musste trotz seiner Schmerzen grinsen. War er auch mal so naiv gewesen? „Ja, da bin ich auch gerade drauf gekommen.“ Der Junge senkte betreten den Blick, und Hige schüttelte nachsichtig den Kopf. Er wandte sich an den Wolf, der Kiba hieß, und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wieso suchst du mich? Wegen dem Tod dieser Frau? Glaub mir, ich hab sie nicht angefallen.“
Der andere hob die Augenbrauen. „Habe ich das gesagt?“
„Nein. Aber so was spricht sich rum.“
„Ich habe dich aus einem anderen Grund gesucht. Aber ich brauche deine Nase, Hige.“
Hige wollte gerade antworten, da stutzte er. „Woher kennst du meinen Namen?“
„Weil wir uns kennen. Oder kannten“, fügte Kiba nach kurzem Zögern hinzu. „Ich weiß, du wirst das jetzt nicht verstehen. Ich werde dir später alles erklären.“ Er deutete auf das Blut an Higes Klei­dung. „Woher kommen die Wunden?“
Hige blinzelte verdutzt, verzog dann aber missgelaunt die Mundwinkel. „Ach, das war nichts. Nur ein Idiot, der seinen Frust an mir auslassen musste.“
„Ein Wolf?“
Er nickte.
Kiba schien mit einem Mal aufgeregt. „Wo ist er jetzt?“
„Die Fänger haben ihn geschnappt“, antwortete Hige nicht ganz ohne Schadenfreude. „Geschieht ihm recht. Was kümmert er dich?“
Der andere fuhr sich unruhig durch die wirren Haare, während er nachdenklich auf Toboe herab­blickte. „Ich erkläre es euch später. Ich muss nur wissen, zu welcher Station sie ihn gebracht haben.“
Hige horchte auf. „Du willst den Kerl befreien?“ In seiner Stimme klang Abschätzung mit, und die Augen des Wolfes verengten sich.
„Ich kann es dir nicht in zwei Sätzen erklären. Also, wohin ist der Laster gefahren?“
Hige schnaubte geringschätzig. „Ich weiß es nicht, ich bin sofort weggerannt.“
Der Junge mit der Katze trat vor. Seine Stimme klang ratlos. „Die nächste Station liegt doch im Süden der Fabriken. Wahrscheinlich haben sie diesen Wolf dahin gebracht.“
Kiba nickte und schon sprang ein schneeweißer Wolf die Straße hinunter und verschmolz mit den Schatten. Hige blickte ihm verwirrt hinterher, zuckte dann aber mit den Schultern und wollte sich gerade wieder unter die Treppe zurückziehen, als er den Blick des Jungen auf sich spürte. Er starrte genervt zurück.
„Was ist denn noch? Ihr wisst jetzt, wo ihr den Typen findet.“
Toboe schüttelte entschlossen den Kopf. „Wir müssen Kiba folgen. Ich weiß, dass klingt nicht sehr glaubhaft, aber ...“
„Ach wirklich? Was davon?“
Toboe blickte ihn beleidigt an. „Was ich sagen wollte: Aber ich glaube, wie müssen ihm einfach vertrauen. Er wird schon wissen, was er macht.“ Er streckte die Hand aus, um ihm aufzuhelfen, erntete aber nur einen zweifelnden Blick. Da stieg der Ärger in Toboe auf und er wandte sich kurz­entschlossen ab, um Kiba zu folgen, bevor er ihn aus den Augen verlieren konnte. Als auch er in den Schatten verschwunden war, saß Hige noch immer unter der Treppe und blickte ihm nachdenk­lich hinterher. Je länger er dort so saß, desto mehr bekam er das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben und jetzt auch noch tatenlos zuzusehen, wie dieser Fehler größer und größer wurde. Er starrte unschlüssig die Straße hinunter, in der die beiden Wölfe verschwunden waren. Langsam stand er auf und schlenderte auf dem Bordstein entlang, während er sich einredete, den beiden nicht zu fol­gen, sondern nur zufällig dieselbe Richtung eingeschlagen zu haben. Er kannte die beiden nicht. Er wusste nicht, was der weiße Wolf von ihm gewollt oder woher er seinen Namen gekannt hatte. Aber er hatte das sichere Gefühl, dass er mit ihm gehen musste. Hige beschleunigte seine Schritte, und bevor er es merkte, rannte er schon in die Richtung, in der die Wölfe verschwunden waren. So ent­ging ihm der verzerrte Schatten des großen Wolfes, der über die rissigen Mauern geisterte, und auch die kleine Gruppe Menschen, die sich in einer Nebenstraße um die leblose Gestalt eines Kindes scharte.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:09 pm

KAPITEL 5

Als der Laster endlich anhielt und die Plastikplane von Tsume herunter gezogen wurde, hätte er den Menschen am liebsten angesprungen und ihm das Gesicht von den Knochen gerissen, aber das stählerne Netz fesselte ihn immer noch. Tsume spähte zwischen seinen zusammengekniffenen Au­gen hindurch; er wollte nicht, dass die Menschen wussten, dass er wach war. Zwei Fänger packten ihn an den Schultern und der Hüfte und schleppten ihn murrend quer über einen kahlen, sterilen Innenhof, der mit hohen, stabilen Mauern eingefasst war. An drei Seiten des Hofes waren über­dachte Käfige angebracht, während auf der vierten Seite ein Hauptgebäude stand. Die Menschen mussten ihn in eine der Auffangstationen der Hundefänger gebracht hatten, von wo aus herrenlose Streuner aus der Stadt geschafft wurden.
Hysterisches Kläffen und Bellen brandete auf, als die Fänger Tsume an den Käfigen entlang zu einer der letzten Boxen trugen. Tsume spürte nichts als Verachtung für die jaulende, schreiende Masse, die sich in ihrem angeborenen Hass gegen ihre Vorfahren gegen die Gitter warfen und ihre Abscheu auf den Hof hinaus schrien.
Die Fänger legten Tsume vor dem letzten Käfig ab und einer der beiden Männer öffnete die äußere Tür. Die Käfige waren mit zwei Türen gesichert; mit einer ersten, um das gefangene Tier in den Käfig zu legen, und mit einer zweiten, um diesen Käfig zu einem größeren Zwinger zu öffnen. Dadurch sollte verhindert werden, dass die schon gefangenen Tiere wieder ausbrachen, wenn ein neuer Hund dazukam. Aber Tsume wollte es erst gar nicht soweit kommen lassen. Als die Hände seine Schultern packten und ihn in durch die äußere Tür schieben wollten, riss er die Augen auf und sprang dem völlig überrumpelten Fänger an die Brust. Mit der ganzen Kraft seiner Wut schlug er ihm die Fänge in den Hals und biss knackend zu. Blut spritzte auf und sprenkelte seine Schnauze. Er ekelte sich vor dem, was er da tat, aber er war dazu gezwungen worden. Er wollte nicht in die­sem Käfig enden. Er war kein streunender Hund.
Noch bevor der leblose Körper des Mannes auf dem Boden aufschlug, war Tsume schon über ihn hinweg gesprungen und rannte in vollem Lauf auf das Tor der Station zu, durch das immer noch neue Laster einfuhren. Hektische Schreie pfiffen an seinen Ohren vorbei, aber er achtete nicht auf sie. Vor ihm war das Tor und dahinter die Freiheit. Er musste es schaffen. Er musste es ...
Ein sirrender Schmerz strahlte in seiner Schulter aus und brachte ihn kurz ins Taumeln, allerdings eher aus Überraschung denn aus echtem Schmerz. Eine Betäubungsspritze. Die Menschen wollten ihn betäuben und dann in den Käfig stecken. Sie würden ihn nicht kriegen!
Plötzlich glitten die Flügel des Tores aufeinander zu. Tsume sprintete, so schnell er konnte, aber die Pforte schien mit einem Mal so weit weg. Das Tor verschwamm vor seinen Augen, und überall waren Menschen, die ihm auswichen ... und einer, der direkt auf ihn zulief ... und mit etwas Glän­zendem auf ihn zielte ...
Ein Schuss fiel. Der Mensch hatte auf ihn geschossen. Nicht mit einem Betäubungsgewehr, wie Tsume im Fallen klar wurde, sondern mit scharfer Munition. Das Tor verschwand endgültig, und als ein zweiter Schuss fiel, wurde alles schwarz um ihn.

Als Tsume wieder zu sich kam, war das Erste, was er wahrnahm, der Schmerz der Kugeln, die ihn getroffen hatten. Zum Glück waren es nur Streifschüsse, aber die Wunden brannten fürchterlich. Er blickte sich um und wie durch einen Schleier stellte er fest, dass er in einer Ecke des Käfigs auf dem nackten kalten Boden lag. Frustriert schnappte er mit den Zähnen nach leerer Luft, als aus der an­deren Ecke ein aggressives, zweistimmiges Knurren klang, und als er aufblickte, sah er zwei mage­re Straßenhunde, die sich gegeneinander drängten und ihn hasserfüllt anstarrten. Tsume war sich sicher, dass sie ihm sofort an die Kehle gesprungen wären, hätte nicht dieser andere Hund sie in Schach gehalten. Erst auf den zweiten Blick stellte Tsume fest, dass es kein Hund war, sondern eine schwarze Wölfin, die sich in der Mitte des Käfigs niedergelassen hatte und die beiden geifernden Hunde stumm anbleckte. Tsume rappelte sich auf, und die Wölfin wandte den Kopf. Sofort sprang­en die Hunde einen Schritt weit vor, wichen aber gleich wieder in die Ecke zurück, als aus der Kehle der Wölfin ein leises, aber gefährliches und bestimmtes Grollen drang. Sie zogen die Schwänze ein und kauerten sich mürrisch auf den kalten Boden. Die Wölfin wandte sich Tsume zu.
„Wieder in Ordnung?“, kam ihre kurz angebundene Frage, und Tsume nickte benebelt. Da er aber seine Schwäche vor ihr und erst recht vor zwei Straßenkötern nicht zeigen wollte, rappelte er der graue Wolf sich auf und trottete den halben Meter bis zu dem Metallgitter, das ihn vom Innenhof trennte. Es sah nicht sehr stabil aus, und Tsume war sich sicher, dass er es hätte einreißen können, aber die Folgen wären nur weitere Verletzungen durch Schüsse gewesen. Und er konnte sich nicht mehr sicher sein, ob die Menschen ihn bei einem zweiten Fluchtversuch leben lassen würden. Der Wolf knurrte gereizt. Er saß in einem Käfig, aus dem er ohne weiteres ausbrechen könnte, aber er war doch ein Gefangener. Tsume wandte sich zu der Wölfin um, die ihn die ganze Zeit über stumm gemustert hatte. Die grauen Augen blickten ihn aufmerksam, aber ruhig an. Ihr Fell hatte einen dunklen, matten Braunstich, wirkte aber im Schatten des Käfigs fast schwarz. Trotz ihres dichten Pelzes konnte Tsume die breite, zerfaserte Narbe erkennen, die sich über ihre Schultern und den Nacken zog. Wie von Wolfszähnen, schoss es ihm durch den Kopf, und seine eigene Wunde auf der Brust begann unangenehm zu pochen.
„Letzte Woche hat das ein anderer versucht. Er hat es bis zum Tor geschafft.“
Tsume blickte sie ungemütlich an. Er wusste schon, worauf sie hinauswollte. „Ich hatte nicht vor, nur bis zum Tor zu kommen.“
Die Wölfin richtete sich auf und setzte sich auf den Hinterbeinen nieder. „Und, wo haben sie dich aufgelesen?“
Tsume wandte sich ab. Ihm war nicht nach Gesellschaft, und mit einer wildfremden Wölfin wollte er sich erst recht nicht darüber unterhalten, wo und wie es passiert war, dass die Fänger ihn erwischt hatten. Er legte die Ohren an und starrte missmutig auf den Hof hinaus, auf dem die Laster der Fänger in einer Reihe standen und einige Männer mit scharfen Hunden patrouillierten. Die Augen der abgerichteten Tiere blickten starr und aggressiv gerade aus und schienen nicht einmal zu merken, dass die Gefangenen in den Käfigen ihre eigenen Artgenossen waren.
„Frustriert?“, kam die spitze Frage hinter seinem Rücken. Tsume wandte sich um, und die Wölfin blickte ihn spöttisch an. Er versuchte sie zu ignorieren und fuhr vorsichtig mit der Zunge über die Wunde an seiner Flanke, spürte aber immer noch ihren Blick im Rücken. Genervt drehte er sich um.
„Findest du's toll, mir dabei zuzusehen?“ Sein Ton klang aggressiver, als er es beabsichtigt hatte, aber er zeigte seine Wirkung. Die Wölfin verengte ihre Augen und legte die Ohren an.
„Sicher nicht. Ich dachte nur für einen Moment ...“
Tsume blickte sie missmutig an. „Was?“
Sie zögerte und ihr Blick wanderte zu der Narbe auf Tsumes Brust, bevor sie hastig wieder weg­schaute. Aber der Wolf hatte es bemerkt. „Wie nennt man dich?“
Er warf den Kopf fragend zurück. „Tsume.“
Etwas in den Augen der Wölfin entgleiste für einen Moment, aber Tsume konnte nicht sagen, was. Das Grau schien dunkler zu werden. Irritiert blickte er sie an.
„Kennen wir uns?“
Einige Sekunden lang reagierte sie nicht, aber dann schüttelte die Wölfin den Kopf. „Nein, ich ... Du erinnerst mich an jemanden, den ich mal gekannt habe. Aber er hieß anders.“
„Ist er gestorben?“
Langsam nickte sie. Für Tsume war die Sache damit erledigt und er konzentrierte sich wieder auf die Schusswunde. So entging ihm, dass der Blick der Wölfin immer noch mit einer Mischung aus Angst und Verachtung auf ihm ruhte. Um ihre Lefzen spielte ein verbitterter Ausdruck. Ihre grauen Augen funkelten in einem seltsamen Licht.

„Reicht es jetzt nicht langsam? Wir haben alle Stationen in dieser verfluchten Stadt abgesucht und diesen Typen nirgendwo gefunden ... Und ich hab einen Mordshunger, sag ich euch!“
Hige trottete missgelaunt hinter Kiba und Toboe her und blickte besorgt auf seinen Bauch hinunter, in dem sein Magen besorgniserregend rumorte. Aber Kiba zeigte keine Reaktion und lief weiter durch das hohe Gras auf das klobige Gebäude zu, das sich vor ihnen auf einem Hügel in die Höhe türmte. Er hob die Nase in den Wind. Etwas kam ihm bekannt vor. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Er spürte, dass er auf dem richtigen Weg war. Den ganzen Nachmittag hatten sie auf der Suche nach dem grauen Wolf die Stationen in der Stadt abgesucht, aber jetzt schienen sie die richtige endlich gefunden zu haben. Er wandte sich zu Hige um. „Riechst du das auch?“
Hige schloss zu ihm auf und steckte seine Hände in die Taschen seines weiten Pullovers. Er schnupperte und nickte dann grimmig. „Das ist er. So, könntest du mir jetzt freundlicherweise noch mal erklären, was hier abgeht?“
Toboe strich dem Kater über den Kopf und setzte ihn dann auf dem Boden ab. Seine Arme waren ihm schwer geworden. „Das hat Kiba doch schon gesagt.“
„Aber es fällt mir aus irgendeinem Grund verdammt schwer, diese Geschichte zu glauben. Kannst du dir sowas vorstellen?“
Toboe blickte ihn beleidigt an und trat dann neben Kiba. „Was hast du jetzt vor?“
Der weiße Wolf wandte seinen Blick nicht von dem Gebäude ab, als er ihm antwortete. „Ich muss diesen Wolf unbedingt sehen.“
„Ja, und?“, kam Higes Stimme aus dem Nieselregen, der nun wieder von den treibenden Wolken fiel. „Willst du ihn vielleicht befreien?“ Er blickte Kiba fragend in die Augen, aber als er die Ant­wort darin las, schüttelte er nur bestimmt den Kopf. „Nein! Sicher nicht. Ich werde euch sicher nicht dabei helfen. Ich hab euch bis hierher geholfen, mehr könnt ihr wirklich nicht von mir ver­langen!“ Aber er spürte bereits, dass er nun nicht mehr einfach so gehen konnte. Die Ausstrahlung, die von dem weißen Wolf ausging, war zu mächtig. Er senkte den Kopf und zuckte mit den Schul­tern. Plötzlich musste er lachen. „Was reg ich mich eigentlich noch aus? Ich hab sowieso keine Wahl!“
Auf Kibas ernstem Gesicht erschien die Andeutung eines Lächelns, und gemeinsam schlichen die drei Wölfe weiter auf das Gebäude zu.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:10 pm

KAPITEL 6

Der braune Wolf schlich durch die Gassen der Stadt und leckte sich dabei gierig die Lefzen. Das Blut an seiner Schnauze war noch frisch und schmeckte bitter, aber voller Leben. Er lächelte sein starres Wolfslächeln, indem er die Lefzen zurückzog und die Fangzähne entblößte. Dieses Lächeln hatte nichts menschliches an sich, aber auch schon lange nichts animalisches mehr. Die Menschen, die aus den Fenstern blickten oder in den Häusereingängen lehnten, zogen sich bei diesem Anblick zurück und überließen die abendliche Straße ihm allein. Der Wolf war darüber froh, denn auch wenn es ihm ein Leichtes war, Menschen zur Strecke zu bringen, so war doch jede Situation anders und musste genau darauf geprüft werden, ob sie der richtige Zeitpunkt zum Töten war. Er konnte sich nicht wie eine mordende Bestie verhalten, die in alles, was sich bewegte, ihre Zähne schlug. Aber er musste auch keine Gedanken über so etwas verschwenden. Die Menschen liefen ihm nicht weg. Aber die Wölfe zu, mit jedem weiteren armseligen Toten, dessen Körper in den Straßen die Krähen anzog. Insgeheim wunderte der Wolf sich immer noch darüber, wie rasant dieser Prozess stattfand, und wie schnell die Verwandlung jedes Mal abgeschlossen war. Kaum waren die Men­schen tot, trat auch schon der nächste Wolf in seiner Truppe aus einer der Gassen und schwor ihm die Treue. Es war so einfach. Bald würde die halbe Stadt unter seiner Kontrolle stehen. Alles, was er dafür tun musste, war ... töten. Bald würde es von Wölfen nur so wimmeln. Gegen ein Riesen-Rudel, das sich mit jedem weiteren Biss, jedem weiteren Toten selbst immer mehr vergrößerte, waren auch die Hundefänger und die Reichen machtlos. Selbstzufrieden wedelte der Wolf mit dem buschigen Schweif. Sie würden selbst auch noch früh genug zu seinem Rudel gehören.

Toboe kauerte hinter einem flachen Busch am Rande des kleinen Hügels, auf dem die Fangstation thronte. Hige spähte hinter einem Baumstamm hervor und trommelte unruhig auf den feuchten Rasen, in dem er hockte. Und Kiba stand etwas abseits und hatte sich im Schatten des kleinen Wäldchens, in dem sie sich vor den Patrouillen versteckten, gegen einen moosbewachsenen Baum gelehnt und beobachtete angespannt das Treiben auf dem Hügel. Seit einigen Minuten liefen die Männer vor den Toren geschäftig hin und her und dirigierten einen Laster nach dem anderen zwischen den breiten Flügeln hindurch. Das aufgeregte Jaulen und Kläffen der gefangenen Hunde, die in ihren Käfigen auf die Ladeflächen gehoben wurden, klang durch den warmen abendlichen Schauer, der sanft auf die feuchte Erde prasselte. Toboe drückte den Kater an seine Brust und fuhr unbewusst durch das struppige Fell, während er den Konvoi beobachtete, der langsam den Hügel hinunterrollte. Die massigen Schlepper fuhren die gewundene Straße hinab und verschwanden dann einer nach dem anderen hinter dem Hügel. Toboe schüttelte genervt den Kopf. Das unaufhörliche Bellen der Hunde hallte in seinen Ohren, und die Nähe zu den Fängern machte ihn nervös. Er blickte zu Kiba hinüber, der seine Nase in den Wind hielt und angestrengt schnupperte.
„Hige“, murmelte der weiße Wolf und starrte dabei weiter den Hügel hinauf.
Hige erhob sich ächzend und trat neben den anderen. „Was ist denn?“
„Riechst du ihn?“
„Wie soll ich von hier was riechen können?“ Er seufzte, hob aber seine Nase prüfend in den Wind. Er zuckte mit den Schultern. „Ich müsste näher ran. Wir könnten uns hinter den Büschen da vorne zum Tor schleichen und ...“
„Nein. Ich muss jetzt wissen, ob dieser Wolf hier war. Wenn wir näher rangehen, entdecken sie uns.“
Hige blickte ihn zweifelnd an. „Warum ist dir der Kerl eigentlich so wichtig?“, entgegnete er und runzelte seine Stirn. „Ich weiß schon, was jetzt wieder kommt. Wir sind alle vier miteinander ver­bunden, weil wir in einem früheren Leben mal zusammen das Paradies gesucht haben ... Und dabei alle die Löffel abgegeben haben. Schon klar. Aber ich will endlich wissen, wofür ich das hier über­haupt tue. Wenn ich nämlich in der Stadt geblieben wäre, hätte ich jetzt sicher keinen leeren Magen und würde nicht im Regen stehen, um einen Typen zu suchen, der mich am liebsten umgebracht hätte!“
Kiba schüttelte den Kopf. „Nicht in einem früheren Leben. In einem anderen.“
„Natürlich. So in einer alternativen Realität, stimmt's?“ Higes Stimme klang amüsiert, aber insge­heim stieg langsam die Wut in ihm hoch. Warum hielt ihn dieser Wolf zum Narren und erklärte nicht einfach, warum er auf der Suche nach ihnen war? Wo doch jeder wusste, dass die Geschichte vom Paradies nur eine alte Erzählung aus dem letzten Jahrhundert war, als Religion und Glaube noch zählten.
Kiba legte ihm die Hand auf die Schulter und schaute ihm dabei fest in die Augen. Der Blick des Wolfes ließ Hige verstummen, und zum ersten Mal an diesem Tag erkannte er, dass der Weiße es nicht nur ernst meinte, sondern dass es auch ernst war. Dass es stimmte, was er sagte. Seine Augen sagten es ihm. In ihnen lag ein solch wissender Ausdruck, dass Hige nicht anders konnte, als ihm zu glauben. Und als er das akzeptierte, schien sich unter Kibas Blick plötzlich eine andere Realität auf­zutun. Hige verstand nicht, was vor sich ging. Aber einige Sekunden lang hatte er das Gefühl, schwerelos zu sein und das Geschehen von einem weit entrückten Standort zu betrachten. Kiba hatte recht. Sie kannten sich. Oder hatten sich gekannt. Für Bruchteile von Sekunden blitzten Bilder vor seinem inneren Auge auf, Bilder von anderen Wölfen und Dingen, die nie hätten geschehen dürfen. Hige bekam es mit der Angst zu tun und trat zitternd einen Schritt zurück. Kaum dass Kiba seine Hand von seiner Schulter genommen hatte, verschwanden die Visionen, aber die Furcht blieb. Hige schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Toboe trat neben ihn und blickte besorgt an ihm hoch.
„Was ist damals passiert?“, schaffte er endlich, zu fragen. Seine Stimme zitterte.
Die Beherrschtheit in Kibas Blick geriet ins Wanken und er vergrub die Hände in den Taschen seiner Jacke. Er seufzte und starrte dann auf seine Füße. Der weiße Wolf schien deutlich unter dem zu leiden, was passiert war.
Toboe blickte unschlüssig zwischen den beiden Wölfin hin und her. Er wusste nicht, was er von dem halten sollte.
„Wir waren auf der Suche nach dem Paradies“, begann Kiba, und seine Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern. Sein ganzes Selbstbewusstsein schien allein durch Higes Frage zusammenge­brochen zu sein. „Wir wollten es öffnen. Und der Welt den Frieden bringen, den sie nicht hatte.“
Toboe schüttelte den Kopf. „Aber das Paradies ist nur eine Geschichte.“
Kiba blickte auf, und etwas von seinem Selbstvertrauen kehrte in seine Augen zurück. „In dieser Welt, ja. Aber nicht in unserer ursprünglichen.“
Toboe wusste nicht, was er darauf hätte erwidern können, also nickte er bloß und blickte unruhig zum Hügel hinüber, auf dem inzwischen die letzten Laster das Tor passierten.
„Und dieser Typ, den du jetzt suchst, gehörte der auch zu ... unserem Rudel?“, fragte Hige weiter. Kiba nickte. „Sein Name ist Tsume.“
Hige nickte und versuchte, sich an den Grauen zu erinnern, aber es gelang ihm nicht. „Haben wir es geschafft?“, kam seine leise Frage. Toboe wandte sich wieder den beiden Wölfen zu.
Kiba hob die Schultern. „Ich weiß es nicht. Wenn es so wäre, dann müsste diese Welt das Paradies sein. Aber sie ist alles andere als paradiesisch.“
„Etwas ist schief gelaufen. Und jetzt willst du es mit unserer Hilfe noch einmal versuchen?“
Der weiße Wolf schüttelte müde den Kopf. „Das könnte ich nicht.“
„Wieso nicht?“
„Cheza ist tot.“ Trauer stand in den Augen des Wolfes, und er wandte sich ab, um sie zu verbergen. Hige folgte ihm und rüttelte Kiba vorsichtig an der Schulter. „Hör mal. Ich weiß noch nicht, wer Cheza war, aber ich werde mich sicher irgendwann wieder erinnern können. Wenn du es uns nicht erzählen kannst, dann musst du nicht.“
Kiba blickte auf und Hige konnte die stille Dankbarkeit in seinen Augen lesen. Unter dem gefassten Blick des Wolfes wurde ihm unwohl, er fühlte sich mulmig. Toboe erlöste ihn aus dieser Situation, indem er Hige in die Seite tippte und den Hügel zur Station hinauf deutete. Kiba und Hige wussten, was er meinte. Gerade hatte der letzte Laster das Tor passiert und nun fuhren die Flügel summend aufeinander zu. Das träge Geräusch der Maschinen drang durch den feuchten Abend gedämpft zu ihnen herunter. Kiba bedeutete den beiden, ihm zu folgen, und schlich auf leisen Wolfssohlen im Schutz des Wäldchens zur Straße. Mit wenigen Sprüngen setzte er über die schmale Fahrbahn und verschwand auf der anderen Seite hinter der Böschung. Hige und Toboe folgten ihm eilig, denn die letzten Wagen des Konvois verschwammen bereits mit dem frühen Dämmerlicht. Wenn sie sich nicht beeilten, würden sie die Laster im Dunkel verlieren, denn das Straßennetz war trotz seines Verfalls immer noch weit verzweigt.
Im Schutz der Böschung rannten die drei Wölfe den Rücklichtern der Laster hinterher, die den Regen rötlich färbten. Als der Wind Hige den Geruch des grauen Wolfes entgegentrug, wusste er, dass sie auf dem richtigen Weg waren.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:10 pm

KAPITEL 7

Tsume starrte missmutig auf die vom Regen glänzende Straße hinunter, die vor ihm zurückfiel. Er hatte sich gegen die Gitterstäbe des Käfigs gelehnt und betrachtete schweigend die Böschung, die an dem Laster vorbeizufliegen schien. Der Käfig stand auf der Ladefläche des letzten Schleppers im Konvoi, zusammen mit einem Dutzend anderer Käfige, in denen schwächlich winselnde und hechelnde Hunde kauerten. Tsume hatte ihren Anblick nicht ertragen können und sich abgewandt.
Mit dem schwindenden Tageslicht wurde es sehr schnell dunkel über dem Land, und die gerippten Wolkenbänke erstrahlten in einem gespenstischen grauen Ockerton. Der kalte Fahrtwind fuhr dem Wolf durch das Fell, und Tsume kauerte sich in einer Ecke des Käfigs zusammen. Er wusste nicht, wohin ihn die Menschen bringen wollten, er wusste nur, dass er bei der nächsten Gelegenheit, die sich ihm bot, fliehen musste. Unruhig spielten seine Ohren und lauschten auf etwas, das über den Wind und das laute Motorengeräusch zu ihm drang. Er hob den Kopf und lauschte angestrengt. Was war das? Ein Heulen? Der Wolf schüttelte den Kopf. Das konnte nur der Fahrtwind sein.
Hinter Tsume erklang ein wütendes Knurren. Er wandte den Kopf und blickte direkt in die gebleck­ten Fänge eines der beiden Hunde, der sich unbemerkt von hinten angeschlichen hatte. Tsume sprang auf und sträubte das Nackenfell, aber der Hund wich nicht von der Stelle und fing an, mit seiner hohen Stimme zu kläffen. Tsume legte die Ohren an. Er wollte sich nicht auf eine Stufe mit einem Hund herabsetzen, aber das Gebell des schwarzweiß gefleckten Tieres ging ihm auf die Nerven.
„Sei still, Hund“, zischte er und machte einen drohenden Schritt auf den Hund zu. Als sich das Tier winselnd duckte und unterwürfig den Kopf zur Seite neigte, fiel Tsume auf, dass die Wölfin ihn be­obachtete. Er wandte den Kopf und blickte sie herausfordernd an. Schon die ganze Zeit über hatte der Wolf gespürt, dass ihr Blick auf ihm lag, aber immer, wenn er zu ihr herüber geblickt hatte, war ihr Kopf wie zufällig auf die Pfoten gesunken. Tsume ignorierte das Fiepen des Hundes und trat vor die Wölfin. Sie blickte ihn fragend an, aber er sah, dass ihre Gleichgültigkeit aufgesetzt war.
„Glaubst du, ich merke das nicht?“
In ihren Augen flackerte für einen kurzen Moment Wut auf und sogar etwas, das darüber hinaus­ging, und Tsume hob wachsam den Kopf. Sie hatte sich jedoch sofort wieder unter Kontrolle und richtete sich auf, sodass sie auf den Hinterbeinen saß. Unbeteiligt blickte sie zwischen den Käfig­stäben hindurch auf die zurückweichende Straße hinaus.
„Was willst du merken?“ Ihre Stimme klang gelangweilt, aber wieder hörte Tsume darin eine kaum hörbare Aggressivität heraus. Seine Geduld war bald zu Ende. Er hatte die Wölfin anfangs schon nicht leiden können, aber jetzt wurde sie ihm regelrecht unsympathisch.
Gerade als er zu einer Antwort ansetzen wollte, fuhr der Laster rasselnd durch ein tiefes Schlagloch und schlingerte in einer Kurve. Tsume verlor und Gleichgewicht und prallte gegen die Stäbe. Noch im Fallen sah er, dass die Ladefläche unter dem Käfigboden verschwand und die Straße auf ihn zuraste. Der Käfig schlitterte von der Ladefläche. Jaulend wurden die Hunde gegen den Grauen ge­schleudert und auch die Wölfin prallte gegen ihn und lag schwer auf seinem Brustkorb. Der Aufprall war kurz und heftig, aber kaum dass der Käfig auf der harten Straße aufgeschlagen war, wurde ihnen der Boden erneut unter den Pfoten weggerissen. Tsumes Läufe knickten ein, als der Käfig sich im freien Fall drehte und in einen Abgrund sackte. Jaulend und schreiend wirbelten die Hunde durch den trudelnden und rutschenden Käfig, verzweifelnd nach Halt scharrend, während Tsume mit seinen menschlichen Händen nach den Stäben griff und so recht unbeschadet davonkam, anders als die Wölfin. Sie schlug mit ihrem Kopf gegen die Decke und schlitterte in eine Ecke des Käfigs, wo sie reglos liegen blieb.
Der ganze Fall hatte nur wenige Sekunde gedauert, aber erst jetzt sah Tsume, was passiert war. Der Laster war in einer Kurve zu schnell über ein tiefes Schlagloch gefahren und hatte sich dabei stark zur Seite geneigt. Einige Käfige waren dadurch von der Ladefläche geschleudert worden und dann von der Straße einen niedrigen Abhang hinuntergerutscht. Die Hunde in den Käfigen schrien immer noch ihre Angst in die Dämmerung hinaus, und auch die beiden Tiere, die neben Tsume kauerten, zitterten unkontrolliert, die Augen panisch geweitet. Sicher auch deswegen, weil sich vor ihren Au­gen gerade ein Wolf in einen Menschen verwandelt hatte. Tsume wollte sie zur Ruhe bringen, da fiel sein Blick in den metertiefen Abgrund, der sich unter dem Käfig auftat. Ohne dass Tsume es be­merkt hatte, war der Konvoi der Straße in hügeliges Gebiet gefolgt und nun hing der Käfig genau über einem Abgrund in der Schwebe. Durch das Zappeln der Hunde schaukelte er gefährlich hin und her und pendelte bereits halb über der Kante. Der Wolf warf sich gegen die Stäbe und zog die Hunde zu sich in die Ecke, damit der Käfig nicht durch ihr Gewicht über den Rand gezogen wurde. Die Hunde schienen die Gefahr zu spüren und rührten sich nicht, wodurch das Schaukeln aufhörte. Tsume blickte zu der schwarzen Wölfin hinüber, die noch immer in der anderen Ecke lag, ohne sich zu rühren. Vorsichtig beugte Tsume sich nach vorne und griff nach ihren Pfoten, um sie zu den Hunden zu ziehen und das gesamte Gewicht auf eine Seite zu verlagern. Der Käfig fing wieder an, bedenklich zu schaukeln, aber er hielt stand.
Die Augen der Wölfin zuckten und als sie wieder zu sich kam, schüttelte sie verwirrt den Kopf. Etwas perplex starrte sie den Mann an, der ihr gegenüber an den Stäben lehnte, bevor ihr wieder einfiel, was passiert war. Als sie den Abgrund unter sich sah, erhob sie sich bedächtig und kauerte sich in die Ecke, vor der das Schloss hing. Prüfend maß sie die Dicke der stählernen Stangen ab. Sie blickte zu Tsume herüber. „Hilf mir mit dem Gitter“, sagte sie kurz angebunden und schloss auch schon ihre kräftigen Kiefer um die Stäbe des Käfigs, dass ihre Zähne metallisch gegen den Stahl schlugen.
Tsume reagierte nicht und beobachtete stirnrunzelnd, wie sich die Wölfin mit gesträubtem Nacken­fell gegen die Stäbe stemmte. Ihre Fänge glänzten matt im Dämmerlicht und die grauen Augen schimmerten. Für einen kurzen Moment hatte Tsume das Gefühl, all dies schon einmal gesehen zu haben – das kräftige, dunkle Schlammbraun ihres Fells, das sich im Schatten als Schwarz tarnen und die Sonnenstrahlen des Herbstes verschlucken konnte ... Er schüttelte den Kopf. Eine flüchtige Ähnlichkeit, mehr nicht. Er verbot sich den Gedanken und packte die Stäbe mit seinen Wolfskiefern. Der Käfig fing wieder an, bedenklich zu schaukeln. Das kalte Metall schnitt dem Wolf in die Lefzen, aber er ignorierte es und zog und zerrte an den Stangen, bis sie sich zwischen seinen Kiefern verbogen. Als der Spalt gerade breit genug war, dass er seinen Kopf hätte durchstrecken können, hörte er wieder dieses Geräusch. Er stellte die Ohren auf und horchte in die Nacht, aber dieses Mal war er sich sicher, dass es nicht der Wind sein konnte. Das kräftige, durch­dringende Heulen kam aus der Kehle eines Wolfes.
Auch die Wölfin hatte es gehört und verharrte lauschend. Das Jaulen der Hunde schwoll wieder an, und auch aus den anderen Käfigen, die über den Abhang verstreut auf der Seite lagen, drang ängst­liches Winseln. Tsume starrte zum Rand der Straße hinauf, über der sich die schwarzen Wolken der Nacht türmten. Plötzlich schob sich vorsichtig ein schmaler brauner Wolfskopf über die Kante und blickte zu den Käfigen hinunter. Er rief etwas über seine Schulter, aber Tsume konnte weder ihn noch die Antwort verstehen. Einige Sekunden später erschien über dem Rand ein zweiter Kopf und Tsume erkannte den Wolf, der nun auf ihn herabblickte. Die Wut stieg in ihm hoch. Es war der Junge, der ihn um seine Beute gebracht hatte. Dann tauchte noch ein dritter Kopf auf, und als Tsume das strahlend weiße Fell des Wolfes sah, das sich leuchtend gegen den dunklen Himmel ab­hob, stellten sich seine Haare auf. Ein seltsames Gefühl kroch ihm den Rücken entlang. Die ruhi­gen, goldenen Augen des weißen Wolfs lagen auf ihm und blickten aufmerksam zu ihnen hinunter. Dann sprang der Weiße behände über den Rand und rutschte den Abhang mit sicheren Tritten herab. Die beiden anderen zögerten erst, folgten ihm dann aber. Tsume beobachtete den Weißen, der zwischen den umgestürzten Käfigen direkt auf ihn zuhielt. Schließlich standen sie sich gegenüber, nur durch die Gitterstäbe getrennt, und starrten sich gegenseitig an.
„Ich werde dir hier raus helfen. Hilf du mir dafür bei dem, um was ich dich bitte.“
Als Tsume die Stimme des weißen Wolfs hörte, wich er unwillkürlich einen Schritt zurück und bleckte die Zähne. Er kannte die Stimme, und das, obwohl er diesen Wolf noch nie gesehen hatte ... Er konnte die Stimme gar nicht kennen. Aber ihre Betonung, ihr sanfter Klang und ihre Entschlos­senheit weckten etwas in ihm. Tsume konnte gar nichts anderes tun, als den Kopf und die gehobene Rute zu senken. Er ärgerte sich über sich selbst, konnte aber nichts daran ändern. Die Ruhe, die von dem Weißen ausstrahlte, ging auf ihn über und er trat schweigend wieder an das Gitter. Zusammen hakten sie ihre Kiefer zwischen die Stäbe und bogen den Stahl auseinander. Die Wölfin trat neben Tsume und half ihnen, sodass das Loch bald groß genug war, um sie durchzulassen. Tsume wand sich durch die Öffnung und trat neben den Weißen. Kam war er frei, verflog die Ruhe in ihm mit einem Mal, und er war froh darüber. Beide standen sich in ihrer menschlichen Gestalt gegenüber und blickten sich an. Tsume funkelte den anderen an, während sich gerade die beiden Hunde hinter der Wölfin ins Freie flüchteten. Aber der andere schüttelte bloß den Kopf. „Wir müssen weg, bevor die Menschen merken, was passiert ist.“ Er blickte zu den anderen hinüber. „Helft mir, die Käfige aufzubrechen.“
Tsume reagierte nicht und beobachtete die anderen bloß. Mit vereinten Kräften machten sich die drei Wölfe daran, die Stäbe auseinanderzubiegen und die Schlösser aufzubrechen. Das Winseln und Heulen der Hunde steigerte sich durch ihre Angst vor den Wölfen in panisches Bellen, und als die Verschlüsse unter ihren Zähnen endlich brachen, jagten die Hunde sofort zur Straße hinauf und ver­schwanden in der Dunkelheit. Nur drei Tiere standen am Ende noch neben den Käfigen: Wölfe, die wie die Hunde den Fängern ins Netz gegangen waren. Der älteste von ihnen hatte ein hell ergrautes, beinah noch weißes Fell und trat langsam auf Kiba zu. Die beiden Wölfe blickten sich in die Augen und der Ältere senkte die Ohren freundlich. Hinter ihm drückte sich eine hellgraue Jungwölfin, sie war kaum dem Welpenalter entwachsen, schutzsuchend an die Flanke einer junge Wölfin mit lebhaft rötlicher Fellzeichnung. Die fremden Wölfe blickten Kiba an, als würden sie von ihm erwarten, dass er sie fortführte. Als der weiße Wolf ihnen zunickte und den Hang hinaufsetzte, folgte der alte Graue ihm zuerst. Die anderen schlossen sich ihnen an und schließlich standen nur noch Tsume und die schwarze Wölfin am Abhang. Sie blickten sich kurz eisig in die Augen, und schließlich sprang die Wölfin den anderen wortlos hinterher. Tsume blickte ihr hinterher und hatte das unbestimmte Gefühl, eine große Dummheit zu begehen, wenn er ihnen jetzt folgte. Aber andererseits konnte es nicht schaden. Seine Neugierde war geweckt. Er schüttelte den Kopf und stieg schließlich den Hang hinauf. Zurück blieben nur die Abdrücke vieler klauenbewehrter Pfoten in der feuchten Erde, die im Dunkel der Nacht versanken. Unter dem aufziehenden Halbmond rannte eine kleine Gruppe Wölfe, die unverhofft zum Rudel geworden waren, über die Hügel, auf die leise der erste Schnee des Jahres fiel.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:12 pm

KAPITEL 8

Die Wölfe hatten bei einem kleinen Hain Halt gemacht und blickten schweigend in den dichter wer­denden Schneefall hinein, der um die Bäume eine flockige weiße Mauer bildete. Kiba hatte sich zwischen den knotigen Wurzeln einer Kiefer niedergelassen und die Arme hinter dem Kopf ver­schränkt. Er blickte die Wölfe der Reihe nach an, die sich unter den ausladenden Zweigen der Kie­fern zusammengekauert hatten. Der alte Graue erhob sich schließlich und trat vor Kiba hin. Ein kurzgeschnittener schwarzgrauer Bart bedeckte seine Wangen und ein silberner Haarkranz um­schloss seine Stirnglatze. In den müden, goldenen Wolfsaugen konnte Kiba ein freundliches Glitz­ern sehen.
„Mein Name ist Hanpaku“, begann der Graue. „Sie heißt Asa“, sagte er und deutete mit einem be­dächtigen Kopfnicken auf die junge Wölfin, „und die Kleine ist Ohisama.“ Die Jungwölfin hatte sich in Gestalt eines kleinen schwarzhaarigen Mädchens in Asas Arme gekuschelt und blickte die anderen Wölfe mit einer Mischung aus Furcht und Neugierde an. Asa strich ihr beruhigend über den Arm und und schaute zu Hanpaku hoch. Sie hatte kinnlanges glattes Haar, das im Dunkel der Nacht fast schwarz wirkte, aber in einem leichten Rotstich schimmerte. Hanpaku nickte anerkennend. „Danke für deine Hilfe. Was hast du nun vor?“
Kiba schaute zu den anderen Wölfen hinüber. Hige und Toboe blickten zurück, und in ihren Blicken konnte er lesen, dass sie ihm folgen würden. Tsume lehnte am Stamm einer Kiefer und starrte wort­los zurück. Sein Blick war bestenfalls abschätzig, obwohl Kiba genau wusste, warum er ihm doch gefolgt war. Auch Tsume hatte instinktiv gespürt, dass er es einfach tun musste, wenn er auch noch nicht wusste, wieso. Die Erinnerungen würden mit der Zeit zurückkehren. Kibas Blick wanderte weiter zu der fremden Wölfin, die sich etwas abseits der anderen niedergelassen hatte. Sie hatte noch nichts gesagt und saß schweigend da, die Beine untergeschlagen. Die langen braunen Haare trug sie zu einen Knoten zusammengebunden. Ihre grauen Augen zuckten aufmerksam von einem Wolf zum anderen.
Kiba blickte sie direkt an. „Wer bist du?“, fragte er sie. Die Wölfin hob den Kopf und blickte ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an. Die langen Stirnfransen fielen ihr in die Augen. Sie zögerte, bevor sie ihm antwortete.
„Kawa“, sagte sie schließlich. Ihre Stimme hatte einen angenehmen rauen Klang. „Ich bin nur auf der Durchreise.“
Hige legte den Kopf auf die Seite und blickte sie neugierig an. „Und woher kommst du dann?“
Kawa wandte den Kopf. „Von der Küste im Norden.“
Hige nickte interessiert, aber die Wölfin nahm kaum Notiz davon. Kiba wandte sich an Kawa. „Dann schließ dich uns an.“
Toboe und Hige nickten eifrig und Toboe trat vor sie hin. „Ja, komm doch mit uns. Ein Leben alleine stelle ich mir nicht sehr schön vor.“
Kawa blickte zu ihm hoch und lächelte ihn zurückhaltend an. „Ich weiß nicht, ob das so klug wäre.“
„Wieso nicht?“, entgegnete Kiba. Einladend nickte er Kawa zu und wandte sich an Hanpaku und Asa. „Das gilt auch für euch“, sagte er. „Ihr seid willkommen. Und wir können eure Hilfe gut ge­brauchen.“
Tsume hob den Kopf und starrte Kiba mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Wut an. „Was soll das denn heißen? Das klingt, als würde ich schon längst zu eurem kleinen Rudel ge­hören.“
Hige verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn schief an. „Ist das denn nicht so?“, fragte er neckisch. „Wenn ich mich richtig erinnere, hat Kiba dich vorhin aus dem Käfig befreit. Also hör dir wenigstens an, was er zu sagen hat.“
Tsumes Blick verfinsterte sich. „Stimmt ja. Wir waren beim letzten Mal unterbrochen worden.“
Der andere verzog wütend das Gesicht und reckte sich. „Wie konnte ich das nur vergessen!“
Toboe, der immer noch vor Kawa stand, blickte unruhig zwischen ihnen hin und her und schielte ängstlich zu Kiba hinüber. „Müsst ihr das jetzt hier austragen?“
Tsume legte den Kopf auf die Seite und blickte den Wolf, der deutlich jünger war als er selbst, von oben herab an. „Und müssen wir auf jemanden wie dich hören?“
Kiba blickte Hanpaku hinüber, dann trat er kurzentschlossen zwischen die beiden. „Toboe hat Recht. So was führt zu nichts.“
Tsume schnaubte nur und blickte den anderen abschätzig an. „Was willst du eigentlich? Wir kennen uns nicht mal. Also herzlichen Dank für deine Hilfe, aber von hier an komme ich alleine klar.“ Er wandte sich zum Gehen.
„Tsume.“
Er blieb wartend stehen, blickte sich aber nicht um. Kibas ruhige Stimme erklang hinter seinem Rücken. „Wenn du jetzt gehst, warum bist du uns dann überhaupt gefolgt?“ Tsume antwortete nicht.
„Ich kann es dir sagen.“ Kibas Stimme wurde eindringlicher. „Du bist uns gefolgt, weil du insge­heim weißt, dass es stimmt. Also wieso verschließt du dich dieser Tatsache?“ Tsume grollte, dann senkte er die Schultern und wandte sich um.
„Hör dir wenigstens an, was ich zu sagen habe. Danach kannst du immer noch gehen.“
Er verschränkte die Arme und starrte ungerührt zurück. „Ich höre.“
Kiba nickte und die dunklen Haarsträhnen fielen ihm in die Stirn. Er blickte den Wölfen in die Augen und begann, zu erzählen – von dem Paradies und der Bedrohung durch ein Wesen, das nicht Mensch und nicht Wolf war, von anderen Wölfen, die ihren Weg gekreuzt hatten und wieder ver­schwunden waren. Auch von der Blume, die ihnen erst die Hoffnung gegeben hatte, bis sie durch den Tod zunichte gemacht worden war. Von ihren hohen Zielen, die sie nie erreicht hatten. Und von ihrem Weg, dessen Lauf immer noch offen war und der darauf wartete, endlich wieder beschritten zu werden.
Als Kiba geendet hatte, wurde es still unter den Zweigen der Kiefer. Lautlos schwebte der Schnee auf die matten grünen Nadeln und bog sie unter seiner Last. Die Wölfe drängten sich auf der kalten Erde aneinander und lauschten in die Stille des Schneefalls hinein, in ihren Gedanken noch immer von dem gebannt, was sie gerade gehört hatten. Kiba schloss die Augen und vergrub den Kopf zwischen den Armen. Die Erinnerungen heraufbeschwören zu müssen, tat weh, aber es hatte sein müssen. Auch, weil er es sich nicht länger leisten konnte, vor seinem Schmerz davonzulaufen. Cheza war fort. Sie war tot, gestorben in Darcias Fängen. Daran ließ sich nichts ändern. Sie hatte ihm versprochen, dass sie sich wiedersehen würden ... Aber um dieses Versprechen zu ver­wirklichen, musste Kiba sich selbst auf die Suche nach ihr machen. Das wiederum hatte er ihr versprochen.
Als der Wolf den Kopf hob, stand Hanpaku vor ihm und legte ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter. In seinen alten Zügen konnte Kiba Trauer lesen, aber auch etwas, das wie Vertrauen und Hoffnung schien, und das sein Gesicht jünger aussehen ließ. Hanpaku sprach es nicht aus, aber Kiba spürte, dass der alte Wolf in seinem langen Leben ähnliches durchgemacht haben musste. Als er dies erkannte, spürte er mit einem Mal eine große Verbundenheit mit dem alten Wolf, in dessen Au­gen sich so vieles widerspiegelte, das Kiba selbst empfand. Er rappelte sich auf und blickte in die Runde.
„Also. Wer von euch will sich mir anschließen?“
In ihren Blicken konnte der Wolf die Antwort lesen, und für einen kurzen Moment keimte in ihm ein Gefühl der Freunde und des unbedingten Zusammenhalts. Für diese eine Sekunde gab er sich dem Gefühl hin, einfach nur das Mitglied eines ganz normalen Wolfsrudels zu sein, auch wenn er sich bewusst war, dass dies nicht mehr als eine schöne Illusion war. Er nickte und ein dankbares Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Kiba.“ Hanpaku blickte ihn an, und dieses Mal lag Ernst in seinem Blick. „Du weißt, dass die Menschen wieder Krieg untereinander führen. Der Konvoi wird die Hunde zu einem Labor in den Bergen bringen. Über Chips im Gehirn sollen sie dann so manipuliert werden, dass sie Granaten ins Feindgebiet tragen.“ Hanpakus klang unterdrückt. „Lebende Bomben. Und unter ihnen sind auch Wölfe.“
Kiba schaute entsetzt auf. „Bist du dir da sicher?“
Der alte Wolf nickte. „Wir können sie unmöglich sterben lassen.“
Kiba blickte zu Boden und kämpfte gegen seinen Drang, ihren Weg genau dort weiterzugehen, wo er ihn verlassen hatte. Andere Wölfe brauchten ihre Hilfe. Er konnte nicht zulassen, dass sie durch die blinde Kriegswut der Menschen mit in das Massensterben gerissen wurden, an dem sie keine Schuld trugen. Der weiße Wolf nickte schließlich und blickte entschlossen auf. „Wir werden ihnen helfen.“
Hanpaku und Kiba übernahmen die Führung und liefen Schulter an Schulter an der Spitze des Rudels, der eine schemenhaft grau, der andere strahlend weiß. Gemeinsam folgten die Wölfe dem Lauf der schneebedeckten Straße in die morgendliche Sonne hinein, und es blieb nichts übrig als eine schmale Spur kräftiger Pfoten, die sich durch den Schnee zog und bald wieder verschwunden sein würde.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:12 pm

KAPITEL 9

Am frühen Vormittag machten die Wölfe in einem kleinen Wäldchen Rast. In der Nähe hatten sie ein kleines Dorf entdeckt, das aus nicht mehr als ein paar Dutzend Häusern bestand und sich an einen schmalen Hang schmiegte. Aus den meisten der steinernen Schornsteine quoll in dicken, fetten Schwaden heißer Rauch. Die kalte Luft roch nach Feuer und schneeverhangenen Wolken.
„Ich muss unbedingt was zwischen die Zähne bekommen“, murmelte Hige, der versuchte, ein Feuer zu entfachen, während Toboe ihm dabei zusah. Mürrisch schlug er zwei dunkle Steine gegeneinan­der und sah zu, wie die glühenden Funken auf das Reisig übersprangen und zögernd die erste Glut wuchs. Das dürre Holz war aber von der Nässe des Schnees feucht geworden und zischte nun knal­lend. Hige runzelte verärgert die Stirn. Es war der dritte Versuch, und schon wieder war das Feuer ausgegangen. Frustriert schmiss er die Steine auf den Boden und stand seufzend auf. Kawa, die seine vergeblichen Versuche mit angesehen hatte, musste grinsen und griff nach den beiden Steinen. Nach einigen gekonnten Schlägen sprangen die Funken auf die Zweige über und züngelten empor. Kawa hob den Kopf und blickte Hige mit einen verschmitzten Lächeln an an. Als sie sich erhob, brannte das Feuer und Hige blickte sie nur erstaunt an. Er schüttelte den Kopf und ließ sich dann auf dem schneebedeckten Boden nieder. Das Feuer wärmte seine eisigen Hände und ließ Hige für einen Moment seinen Hunger vergessen.
„Wer geht denn nun ins Dorf und holt was zu essen?“, fragte er schließlich. Die Köpfe der anderen wandten sich zu ihm um. Hige kratzte sich nervös am Kopf und grinste unter ihren Blicken ver­legen.
„Ich hab halt Hunger.“
Schließlich erhob sich Kawa und runzelte die Stirn. „Schon gut, ich werde gehen. In dem Dorf bin ich schon einmal vorbeigekommen.“
Kiba nickte. „Gut. Wir werden solange warten.“
Kawa wandte sich zum Gehen, aber als sich alle um das Feuer geschart hatten und niemand mehr auf sie achtete, blickte die Wölfin kurz über ihre Schulter zurück. Ihr Blick verfinsterte sich, aber sie schüttelte den Gedanken wie eine lästige Fliege ab. Später. Jetzt noch nicht. Das hatte Zeit.

Im Dorf herrschte noch die friedliche Stille der frühen Sonne. Leises, helles Vogelzwitschern und das beruhigende Summen der Fliegen lag in der Luft. Kawa schritt die Hauptstraße des Ortes, einen breite, staubbedeckten Weg, zwischen den Häusern hinauf und blickte sich um. Seit ihrem letzten Besuch hatte sich nichts verändert. Noch immer standen die alten, steinernen Baracken eng zusam­mengedrängt auf dem Hang und wurden von Wind und Regen langsam zerfressen. Kawa blieb vor einem der Bauten stehen und blickte an der schmalen, niedrigen Fassade hoch zum Giebel, von dem bunte Stoffstreifen in einem Kranz herabhingen und peitschend im Wind flatterten. Sie legte ihre Hand an die raue Steinmauer und versuchte, durch das erblindete Fenster etwas erkennen zu kön­nen. Alles, was sie sah, war jedoch nicht mehr als ein gleichmäßig warmes Licht, das durch den Vorhang aus alten Spinnenfäden und Staub fiel. Mit einem Mal hatte sie den Wunsch, dieses Licht aus den vergangenen Jahren einzuholen und in ihren Händen zu halten. Die Wölfin schloss die Au­gen und spürte den kalten Stein unter ihren Fingern. Als ob sie die Zeiger auf dem Zifferblatt damit zurückdrehen, das Geschehene rückgängig machen könnte ...
Als hinter ihr auf der anderen Straßenseite eine Tür geöffnet wurde, zuckte Kawa zurück und wandte sich schnell von dem Fenster ab. Der Mann, der gerade die Tür hinter sich zuzog, starrte sie verständnislos an, ging aber wortlos weiter. Kawa blickte ihm hinterher, konnte ihn aber nicht wie­dererkennen. Er musste erst in das Dorf gekommen sein, nachdem sie gegangen war.
Kawa seufzte und setzte ihren Weg die Straße hinauf fort. Mitten auf dem Weg lungerten die Hunde des Dorfes und wichen der Wölfin mit eingezogenen Schwänzen aus, als sie auf sie zukam. Was sie sahen, hatte wenig mit der jungen Frau zu tun, die die Menschen in ihr sahen. Bei dem Gedanken daran musste sie unwillkürlich lächeln. Auch der Mann gerade hatte niemand anders gesehen als die Frau in dem weißen weitärmeligen Hemd und der braunen Hose mit der breiten silbernen Gürtel­schnalle, für die sie sich ausgab. Die Tarnung beherrschte sie wie jeder andere Wolf perfekt, was ihr schon oft geholfen hatte, vor den Hundefängern und anderen Jägern zu entkommen. Bis auf dieses eine Mal, bei dem sie sich aus freiem Willen in ihrer wahren Gestalt gezeigt hatte ...
Kawa überhörte das unterwürfige Winseln der Hunde und sprang leichtfüßig die Stufen des kleinen Lebensmittelladens hinauf, der sich am Ende der Straße zwischen zwei altersschwache Häuser quetschte. Mit einem hellen Klingeln schwangen die Glocken über der Tür zur Seite, als sie den La­den betrat und sich zwischen den schmalen Regalen umschaute. Auch der Geruch war immer noch derselbe, und inmitten von weichem Seifenduft, warmen Brotlaibern und strengem Moschus fühlte sie sich für einen kurzen Moment heimisch.
„Kawa.“
Sie hörte ihren Namen und wandte sich um. In der Tür zum Nebenraum stand eine junge Frau, fast noch ein Kind, und blickte sie erfreut an. Sie trug ein ausgebleichtes Kleid, das früher einmal hell­blau gewesen war und ihr bis zu den Knöcheln reichte. Die blassen blonden Haare fielen dem Mädchen glatt über den Rücken, der von einem grauweißen Schultertuch bedeckt war.
„Kawa. Schön, dich wiederzusehen.“ Das Mädchen lief ihr entgegen.
Kawa musste lächeln und schloss sie kurz in ihre Arme. „Ich freu mich auch, Lain.“
Das Mädchen hielt ihren Arm. „Du warst doch kaum drei Wochen weg. Ich hatte nicht damit ge­rechnet, dass du so schnell wiederkommst.“
Kawa nickte. „Ich habe mich einem Rudel angeschlossen. Deswegen bin ich auch hier, weil ich Vorräte brauche.“
Lain blickte sie begeistert an. „Hast du endlich andere Wölfe gefunden? Darf ich sie kennen lernen?“
Kawa lächelte entschuldigend. „Das wird nicht gehen, wir brechen noch heute wieder auf.“
„Oh. Ach so.“ Das Mädchen klang enttäuscht, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. „Na gut. Was brauchst du denn?“
Als die Wölfin den Laden zehn Minuten später verließ, ging Lain ihr voraus zu einem kleinen Schuppen, der seine klapprig zusammengezimmerten Holzlatten an die Steinmauer lehnte, um nicht auseinanderzubrechen. Kawa wartete vor dem morschen Verschlag, und als das Mädchen wieder herauskam, führte sie ein ungesatteltes Pferd am Zügel. Als Kawa das Tier erkannte, tat ihr Herz einen Sprung.
„Sie hat es geschafft?“
Lain strahlte. „Ja, Kage ist zäh. In der letzten Woche hat sie sich wieder gefangen.“
Kawa strich über das warme, schokoladenbraune Fell der Stute, das wegen ihres Alters stumpf ge­worden war und nun nicht mehr seidig glänzte wie einst. Als sie das Dorf vor drei Wochen ver­lassen hatte, war die alte Stute ernsthaft krank gewesen, aber nun schien es ihr wieder besser zu gehen.
„Nimm sie mit“, sagte Lain und reichte Kawa die Zügel. Die Wölfin zögerte, da sie das Tier nicht noch mehr beanspruchen wollte, aber als sie die weichen Nüstern der Stute in ihrer Seite spürte, wie sie spielerisch nach ihr schnappte, hatte Kawa das Gefühl, dem Pferd seinen Wunsch erfüllen zu müssen. Sie ergriff die Zügel und sprang mit einem behänden Satz auf den Rücken des Tieres. Ein erwartungsvolles Kollern drang aus der Kehle der Stute. Lain legte den Sack mit den Vorräten be­hutsam über die Schultern des Tieres und strich ihm flüchtig über die schwarze Mähne.
„Musst du denn schon wieder gehen?“, fragte Lain und blickte zu Kawa hinauf. Die Wölfin zuckte bedauernd mit den Schultern und legte dem Mädchen die Hand auf die Schulter. „Du weißt doch, ich kann in diesem Dorf nicht bleiben. Soll ich als Wölfin unter Menschen leben?“
„Wieso darf ich nicht mit dir gehen?“, entgegnete Lain, obwohl sie die Antwort schon oft gehört hatte.
Kawa schüttelte den Kopf, auch wenn es ihr schwer fiel, Lain zum wiederholten Male abweisen zu müssen. „Weil es für einen Menschen wie dich viel zu gefährlich wäre, mit einem Wolf zusammen zu leben. Du weißt, wie das ist.“
Lain senkte den Kopf und murmelte etwas, das Kawa nicht verstand. Sie hasste es, das Mädchen zurücklassen zu müssen, aber es konnte einfach unmöglich mitgehen.
„Danke für die Sachen“, sagte die Wölfin versöhnlich und trieb die Stute an. Das dumpfe Schlagen der Hufe auf der staubigen Straße begleitete Kawa auf ihrem Ritt durch das Dorf zurück zum Rudel. Im Takt der Schritte des Pferdes überhörte Kawa, dass Lain nicht wieder in den Laden zurückging, sondern sich im Schutz der schattigen Fassaden hinter ihr her schlich.
Als Kawa zu den anderen Wölfen zurückkehrte, kam Hige kopfschüttelnd auf sie zu.
„Sollen wir jetzt etwa das Pferd essen? Da ist aber nicht mehr viel dran.“
Kawa verzog das Gesicht und warf ihm den prall gefüllten Sack vor die Füße. „Da hast du dein Essen. Vergreif dich bloß nicht an dem Pferd.“
Hige winkte beschwichtigend ab und wühlte begeistert in dem Sack, während Kawa absaß und die Stute zu einer Birke führte, wo sie die Zügel an einem niedrigen Ast verknotete und darauf achtete, dem Tier genügend Freiraum zu lassen. Kage schnaubte zufrieden und senkte ihren Kopf, um unter der Schneedecke nach Gräsern zu suchen.
„Wo hast du das Pferd denn her?“, fragte Toboe, als sie sich zu den anderen in den Kreis um die Feuerstelle dazu setzte.
„Eigentlich gehört es mir, aber ich bringe es immer im Dorf unter, wenn ich unterwegs bin.“
Schweigend machten sich die Wölfe über die Vorräte her, und als das Feuer niedergebrannt war, machten sie sich wieder auf den Weg. Sie rannten unter der kalten Mittagssonne dahin, die hinter den treibenden Wolken verblasste, und erreichten unter einem heraufziehenden Sturm das Hügel­land. Unbemerkt folgte Lain den Abdrücken ihrer Pfoten im Schnee, ohne zu wissen, dass die Spu­ren vom nächsten Schneegestöber schon bald wieder ausgelöscht werden würden, wie mit weißer Farbe übermalt, und sie orientierungslos in den kahlen Höhen zurücklassen würden.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:13 pm

KAPITEL 10

„Und wieso hast du dein Rudel verlassen?“, fragte Toboe und blickte Hanpaku neugierig an. Die Wölfe waren in einen gemächlichen Trott verfallen und trabten über die grasbewachsenen Hügel, auf denen unter den dunkler werdenden Wolken die Trostlosigkeit fast schon greifbar war.
„Ich wurde von einem Jüngeren besiegt, der meine Stelle als Alpha übernahm.“ Hanpakus Stimme klang ungerührt, so als wäre ihm dies gleichgültig, aber Toboe spürte, dass diese Niederlage den Stolz des alten Wolfes verletzt hatte, andernfalls wäre er nicht so kurz angebunden. Toboe senkte den Kopf und lief schweigend weiter. Hanpaku blickte ihn von der Seite an. Er spürte, dass es den jungen Braunen bedrückte. Der Wind pfiff ihm durch die Kleidung und er schlug den Kragen seines dunklen Mantels höher.
„So sind die Regeln, auch wenn sie ungerecht scheinen. Wenn es sie nicht gäbe, würde ein starkes Rudel sehr bald schwach.“ Hanpakus Blick glitt über die Hügel, die sich vor ihnen ausdehnten. „Und im Übrigen war es sogar meine eigene Entscheidung, das Rudel zu verlassen. Sie haben mir angeboten, zu bleiben, aber das wäre nicht richtig gewesen. So ist es gut, glaub mir.“
Toboe blickte ihn zweifelnd an. „Was hast du dann die ganze Zeit getrieben?“
„Ich bin durch die Gegend gewandert, immer von Stadt zu Stadt. Und hier habe ich Asa und Ohisa­ma getroffen. Wir haben uns zusammengetan und wollten die Stadt verlassen, aber dann sind uns die Fänger zuvor gekommen.“
„Ist das Leben als Einzelgänger nicht wesentlich schwieriger?“, fragte nun Kiba, der auf Hanpakus anderer Seite trabte. Die drei Wölfe liefen an der Spitze des Rudels, hinter ihnen kamen Tsume, Hige und Kawa, die ihr Pferd neben sich am Zügel führte, und den Schluss bildete Asa mit Ohisa­ma, da die Jungwölfin mit den erwachsenen Wölfen noch nicht so recht mithalten konnte.
Hanpaku wiegte den Kopf. „Sicher. Aber man ist nicht auf andere angewiesen. Dennoch habe ich mich immer über Gesellschaft gefreut.“
„Was genau habt ihr eigentlich vor, wenn wir dieses Labor mal gefunden haben?“ Hige, der zwisch­en Tsume und Kawa gelaufen war, schloss zu ihnen auf. Die Lücke zwischen dem Grauen und der braunen Wölfin wurde nun noch größer. Beide, Tsume wie Kawa, mieden sich so gut es ging und trabten nur wortlos nebeneinander her, während sie versuchen, einander zu ignorieren.
„Oder besser, haben wir überhaupt schon einen Plan?“
Kiba blickte zu Hanpaku hinüber. „Ich war noch nie dort“, antwortete dieser, „aber ich habe von anderen Wölfen gehört, dass die Käfige in einem eigenen Trakt untergebracht sind, der nach Norden geht.“
„Ach so, und da spazieren wir dann einfach rein?“ Hige war anzumerken, dass er nicht davon hielt. „Was ist mit Wachen? Die werden die Käfige doch nicht unbeaufsichtigt lassen.“
„Spiel du doch den Lockvogel“, kam von hinten Tsumes spöttische Stimme. „Jemanden wie dich können die gar nicht verfehlen.“
Hige knurrte, lief aber ungerührt weiter. „Mir wäre auch nichts besseres eingefallen.“
„Wir werden es ja sehen, wenn wir dort sind“, meinte Kiba und blickte über die Schulter zu Asa zu­rück. „Verpasst den Anschluss nicht.“
Hige machte Kehrt und lief zu Asa und Ohisama zurück. Vor der jungen Wölfin ging er in die Hocke und blickte sie freundlich an. „Soll ich dich tragen? Du bist doch bestimmt müde.“
Ohisama blickte den braunen Wolf, den sie nicht kannte und der sie nun völlig überraschend an­sprach, verwirrt an. Sie war überrumpelt und brachte kein Wort hinaus. Asa lächelte nachsichtig und nahm sie kurzerhand auf die Arme. Ohisama schlang ihre Arme um Asas Hals und legte den Kopf an ihre Schulter. Hige zuckte mit den Schultern und blickte Asa von der Seite an. Die Wölfin war nur unwesentlich älter als er selbst und trug eine cremefarbene Hose und darüber ein schwarzes Hemd, dessen Ärmel ihr bis zu den Ellenbogen reichte und das mit kleinen schimmernden Schuppen bestickt war. Darüber trug sie einen langen dunkelbraunen Mantel mit hellem Pelzkragen. Der Kupferstich ihrer dunkelbraunen Haare schimmerte am Tag noch stärker als in der Nacht.
„Seid ihr irgendwie miteinander verwandt?“, fragte Hige und blickte Asa neugierig an. Sie schüttel­te lachend den Kopf, wurde aber im nächsten Moment wieder ernst.
„Nein, ich habe sie zufällig getroffen, zum Glück für sie. Ohisamas Mutter ist an der Tollwut ge­storben, und dann hat sie in einem Unwetter den Anschluss an ihr Rudel verpasst.“ Sie verdrehte den Kopf und blickte auf das Mädchen in ihren Armen hinab, das sich friedlich an ihre Schulter ge­kuschelt hatte. „Das war vor einem Monat. Ich selber habe meine Familie auf der Suche nach einem neuen Rudel verlassen. Ich kann ihr zwar nicht die Mutter ersetzen, aber vielleicht so etwas wie eine große Schwester sein.“
Hige nickte und deutete auf Hanpaku, der sich immer noch mit Kiba und Toboe unterhielt. „Wie habt ihr Hanpaku getroffen?“
„Wir sind ihm auf einem Flohmarkt begegnet.“ Asa verzog ihre Mundwinkel, aber Hige konnte nicht erkennen, ob es ein Lächeln sein sollte. „Ohisama ist in dem Gewimmel mitten in ihn hinein­gerannt, und so sind wir halt zusammen weitergegangen.“
Kawa hörte nur mit halbem Ohr auf die Gespräche der anderen. Die Wölfin war in ihren Gedanken immer noch bei Lain, die sie einmal mehr im Dorf hatte lassen müssen. Sie hatte ein schlechtes Ge­wissen, zumal das Mädchen das Misstrauen, das ihr im Dorf überall entgegenschlug, stillschwei­gend erdulden musste. Das Gerücht, dass Lain in ihrer Kindheit von einer Wölfin gerettet worden war, war eigentlich mehr als das: Die meisten Bewohner des Dorfes wussten es insgeheim, hielten aber Schweigen darüber. Solange niemand genau wusste, wie es dem Kind damals möglich gewe­sen war, ohne fremde Hilfe aus dem brennenden Haus zu entkommen und was der unnatürlich große Hund in den Flammen zu suchen gehabt hatte, munkelten die Menschen nur hinter vorgehal­tener Hand. Irgendetwas war an dem Mädchen seltsam, auch wenn sie es nicht benennen konnten. Wenn sie ihm länger in die Augen sahen, beschlich die meisten schnell ein unheimliches Gefühl, das sie sich nicht erklären konnten. Als wäre da noch etwas in seinem Blick, das dort nicht hinge­hörte. Kawa legte die Ohren an. Nicht einmal Lain hatte sie erzählt, woher dieses Misstrauen wirk­lich rührte. Außer ihr selbst wusste es nur noch eine Person. Aber diesen jemand gab es schon lange nicht mehr, und daran trug Kawa eigene Schuld.
Sie merkte, dass es still geworden war. Nur noch das rasche, kaum hörbare Tapsen der Wolfspfoten auf dem knarrenden Schnee und der heulende Wind, der ihnen durch den Pelz fuhr, waren zu hören, und Kages leises Schnauben, während sie ihre Hufe mit dumpfen Schlägen auf die Erde setzte. Kawa hob den Kopf und merkte, dass Tsume sie aus den Augenwinkeln anstarrte.
„Glaubst du, ich merke das nicht?“, grollte sie und spielte auf seine Frage an, die er ihr im Käfig ge­stellt hatte. Tsume wandte den Kopf und blickte sie ausdruckslos an.
„Ich habe mich gerade gefragt, was dein Blick bedeuten soll“, antwortete er lakonisch.
„So? Wie habe ich denn geschaut?“, gab Kawa nicht gerade freundlich zurück und hielt an. Kage rieb ihren Kopf an Kawas Rücken, aber sie ignorierte die freundschaftliche Geste der Stute.
Toboe blickte über die Schulter zu ihnen. Er spürte die gereizte Stimmung, die zwischen den beiden herrschte. „Tsume wollte sicher nur einen Scherz machen“, meinte er und grinste unsicher. „Das macht er oft so.“
Der Graue wandte den Kopf und starrte Toboe belustigt an. „Woher willst du mich denn kennen, Kleiner?“
Toboe verzog beleidigt das Gesicht. So angesprochen zu werden, hielt ihm immer wieder vor, wie jung er noch war. „Ich erinnere mich halt langsam wieder.“
„Dann erinnerst du dich falsch.“
Kiba blieb stehen und vergrub seine Hände in den Jackentaschen. „Ganz im Gegenteil, Tsume. Und auch deine Erinnerungen kommen bereits zurück.“
Tsume hob den Kopf und blickte abwartend zurück. Kiba musste grinsen. „Na ja, du sprichst Toboe mit 'Kleiner' an. Das hast du früher auch gemacht.“ Der weiße Wolf wandte sich wieder zum Gehen, und als das Rudel ihm folgte, standen Toboe und Tsume da und starrten sich an, der eine beleidigt, der andere in unterdrückter Wut.
„Kommt jetzt endlich!“, wehte Kibas Stimme über den Wind zu ihnen herüber. Toboe folgte seinen Ruf, und Tsume kam ihm gemächlicher hinterher. Er wollte sich nicht so verhalten, als würde er auf die Befehle eines anderen Wolfs hören. Als er schließlich zu den anderen aufschloss, lag vor ihnen in einem schmalen Tal ein langgestrecktes niedriges Gebäude, von dem mehrere Trakte in alle Rich­tungen ausliefen. Aus dem Flachdach ragten zwei hohe dunkle Wachtürme. Das Dach selbst bestand aus schwarzen, glatten Platten, die im Sonnenlicht hart glänzten. Auch ganze Wände des Gebäudes waren mit dem spiegelnden Material ausgekleidet, sodass die Wölfe nicht einmal verschwommene Bewegungen oder Lichtschimmer erkennen konnten. Leises Heulen drang aus der Senke zu ihnen hinauf. Kage stellte die Ohren auf und wieherte leise. Kawa legte ihr die Hand auf die Stirn und streichelte das Pferd beruhigend.
„Das muss es sein!“, sagte Toboe aufgeregt, und Hanpkau nickte. Der graue Wolf deutete in das Tal hinunter. „Kommt, lasst uns ein Versteck suchen, und dann sehen wir weiter.“
Sie folgten dem alten Wolf und schlichen den Hang hinunter an den Fuß des Hügels, wo sie zwischen kleinen Gebüschen Schutz fanden. Kawa band ihre Stute am Zweig eines kahlen Haselnussstrauchs fest und lehnte sich behutsam gegen die warme Flanke des Tieres. Hige gesellte sich zu Kiba und Hanpaku, die aus den Büschen heraus das Gebäude beobachteten.
„Wie wär's, wenn ich versuche, da reinzukommen? Dann könnten wir überlegen, was wir weiter machen.“
Kiba zögerte, nickte dann aber. „Nimm Toboe mit. Und seit gegen Abend wieder da.“
Hige nickte und bedeutete Toboe, ihm zu folgen. Der Junge blickte unschlüssig zum Laborgebäude hinüber, das sich massig und drohend gegen die dunklen Wolken abhob, folgte Hige dann aber. Er wollte nicht als Feigling dastehen, auch wenn ihm dieser Ort nicht gefiel. Wenn er ehrlich zu sich war, jagte das Tal sogar so etwas wie Furcht ein. Hintereinander trabten sie auf das Gebäude zu, Toboe in Higes Fußspuren, und waren bald außer Sichtweite des Rudels. Die Wölfe rollten sich zusammen und warteten auf ihre Rückkehr. Der Schneefall hörte auf, dafür fielen nun kalte, schwere Regentropfen vom Himmel und perlten an den dicken Pelzen der Wölfe ab, dass sie dampften. Kages Ohren spielten unruhig im zugigen Wind.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:14 pm

KAPITEL 11

Hige presste sich gegen die steinerne Mauer. Vor ihm lag ein Abschnitt, der vollkommen mit den harten schwarzen Scheiben verglast war. Er wusste nicht, ob diese Mauer auch von innen undurch­sichtig war, deswegen wollte er kein Risiko eingehen. Er blickte zu Toboe, der sich neben ihm gegen die Mauer gelehnt hatte.
„Komm, wir nehmen den Weg über das Dach“, sagte er und wollte sich schon an der Regenrinne hinaufhangeln, als er Toboes skeptischen Blick sah. „Was ist denn?“
Der Junge blickte sich unwohl um. „Hast du nicht die Wachtürme auf dem Dach gesehen?“
Hige winkte selbstsicher ab und grinste. „Die werden uns schon nicht erwischen. Mach einfach das, was ich sage.“
Toboe verzog das Gesicht, sagte aber nichts. Hige sprang mit einigen Sätzen auf das niedrige Dach des Labors und lugte vorsichtig über den Rand. „Alles in Ordnung, keiner da“, flüsterte er hinunter und zog sich auf das schwarzglänzende Dach. Toboe folgte ihm zögernd und griff nach Higes aus­gestreckter Hand. Als sie auf dem Dach standen, eilte Hige sofort auf einen der Wachtürme zu, und Toboe folgte ihm, ohne lange darüber nachzudenken, was ihnen alles passieren konnte, wenn sie entdeckt würden.
Am Fuß des Turms war eine schmale kreisförmige Luke in das Dach eingelassen. Hige zerrte an den Griffen, aber die Luke war schwerer, als er erwartet hatte. Erst als Toboe ihm zur Hilfe kam, schafften sie es, die schwere Stahlplatte anzuheben und zur Seite zu wuchten. Mit einem dumpfen Poltern prallte sie auf die schwarz glänzende Verkleidung des Daches, und Toboe zuckte zusammen. Alles blieb still. Hige beugte sich über die runde Öffnung und spähte vorsichtig in den Schacht hin­unter. Das einzige, was er sah, waren schmale Trittsprossen, die aus der Wand ragten, weiter unten konnte er nichts mehr erkennen, da das schwache Licht schon nach wenigen Armlängen im Dunkel zerfaserte. Hige setzte kurzentschlossen seinen Fuß auf die oberste Sprosse und wollte sich den Tunnel hinabhangeln, aber als Toboe keine Anstallten machte, ihm zu folgen, verharrte er halb in der Öffnung, halb auf dem Dach.
„Was ist denn nun? Kommst du?“, fragte er und klang dabei gereizter, als er es gewollt hatte. Toboe wurde wütend.
„Was erwartet ihr eigentlich alle von mir? Dass ich euch folge, ohne nachzudenken und mich dabei freiwillig in Gefahr begebe?“ Seine Stimme wurde schrill. „Ich weiß gar nicht, was das hier eigent­lich soll. Du kannst doch nicht von mir verlangen, dass ich da reingehe und mich fangen lasse!“
Hige vergrub kurz den Kopf in den Händen und blickte dann auf. „Schon gut, ich hab nie so was gesagt. Aber wir können doch die anderen Wölfe nicht hierlassen.“ Er blickte Toboe eindringlich in die Augen, und der Junge senkte den Kopf.
„Ja, ich weiß. Ich hab nur ... einfach ... Ich hab das dumme Gefühl, dass da unten was Schlimmes auf uns wartet.“ Kaum hatte Toboe dies gesagt, tat es ihm schon wieder leid. Jetzt musste Hige ihn endgültig für einen Feigling halten. Aber der braune Wolf nickte bloß langsam und blickte sich un­schlüssig um. Dann hellte sich sein Gesicht auf und er blickte zu Toboe hoch.
„Dann lauf du zum Nordtrakt und warte dort auf mich. Versteck dich irgendwo und beobachte das Gebäude, ich werde mich drinnen etwas umsehen.“
Toboe nickte und Hige konnte ihm die Erleichterung ansehen. Als der Junge hinter der Dachkante verschwunden war, stieg Hige die Sprossen hinab und sprang den letzten Meter hinunter. Er blickte sich um und fand sich in einem breiten, mit kaltem Neonlicht ausgestrahlten Flur wieder, der sich leblos zu beiden Seiten erstreckte und von dem auf beiden Seiten mehrere Türen abgingen. Lang­sam und darauf bedacht, kein Geräusch von sich zu geben, schlich Hige den linken der beiden Gänge hinunter. Das ungebrochene, kalkweiße Licht der langen schmalen Kunststoffröhren an der kahlen Decke warf den harten Schatten eines Wolfes an die Wand, und als Hige sich von dem Schacht entfernte, folgte er ihm. Er drang tiefer in das Innere des Gebäudes vor, ohne jedoch auf jemanden zu treffen. Aus der Ferne hörte er das rhythmische Stampfen eines Maschine, und neu­gierig folgte er dem Geräusch durch die ausgestorbenen Gänge.
Was Hige vergessen hatte, war die Luke am anderen Ende des Tunnels, die immer noch offenstand.

Toboe schlich sich tief geduckt im Schutz der Büsche und Felsen, die das ganze Tal mit kleinen weißen und grauen Sprenkeln übersäten, um das Gebäude herum zum nördlichen Teil des Labors. Dort sah er schon von weitem einen langen Trakt, einem schlaff ausgestreckten Arm gleich, weit aus dem Gebäudekomplex herausragen. Der Junge beschleunigte seine Schritte und lief nervös darauf zu, auch wenn alles in ihm danach schrie, abzuhauen und zu den anderen Wölfen zurückzu­kehren. Aber er musste auf Hige warten. Toboe blickte sich missmutig um und ließ sich schließlich auf einem flachen Steinbrocken nieder, der von zwei starken Büschen verdeckt wurde. Der Wind frischte auf und Toboe schlang frösteln seine Arme um die Schultern. In das abweisende, eisige Grau des stürmischen Himmels versunken, überhörte Toboe anfangs das aufgeregte Bellen, das aus dem Inneren des Gebäudes drang. Erst als Toboe die alarmierten Schreie und das hektische Stam­pfen schwerer Schritte auf feuchter Erde hörte, schreckte er auf. Hundegebell drang durch die Mauern und hallte in der Senke nach. Durch die Zweige des Gebüschs hindurch konnte er sehen, wie mehrere mit Schlagstöcken bewaffnete Männer aus einer Nebentür stürmten, gefolgt von Wächtern mit scharfen Hunden, deren harte, bestimmte Schritte nichts als Aggressivität verrieten. Toboe duckte sich und hoffte, dass sie ihn nicht wittern würden. Dann kam ihm der Gedanke, dass Hige immer noch in dem Gebäude sein musste. Was, wenn sie ihn entdeckt hatten? Er kauerte sich hinter den Zweigen zusammen und hielt den Atem an.
Die Männer folgten den Hunden, die wie wild an ihren Leinen zogen, und näherten sich bereits dem Gebüsch, als Toboe plötzlich zwei Hände auf seinen Schultern spürte, die ihn packten und zur Seite schleuderten. Toboe prallte ins Grad und wollte schon erschrocken aufschreien, als er merkte, dass es Hige war, der sich ihm von hinten angeschlichen hatte. Ein entschlossener Ausdruck lag in den braunen Augen des Wolfes.
„Renn weg, ich lenk sie ab!“, flüsterte er und blickte ihm dabei so eindringlich in die Augen, dass Toboe sich ohne ein Wort aufrappelte und davonrannte, ohne darauf zu achten, wohin er lief. Panik hatte seine Gedanken vernebelt. Erst als die reißenden Alarmschreie der Hunde in seinen Ohren nicht mehr schmerzten, wurde er langsamer und machte schließlich keuchend Halt. Auf die Knie gestützt, blickte Toboe zurück zum Labor und konnte gerade noch winzige vierpfotige Gestalten erkennen, die in schnellem Lauf durch die Senke stoben. Toboe riss die Augen auf. Die Männer hatten ihre Hunde von der Leine gelassen und trieben sie nun mit scharfen Befehlen an, die Toboe aber nicht mehr verstehen konnte. An der Spitze der Meute rannte Hige, der wieder Wolfsgestalt an­genommen hatte und versuchte, seinen Verfolgern zu entkommen. Dabei hielt er direkt auf ein Waldstück zu, das sich über die nördliche Flanke des Tals erstreckte. Toboe griff sich unwillkürlich an die Stirn. Dort würden ihn die Hunde zwar nicht so schnell verfolgen können, aber wenn er den Schutz der Bäume wieder verließ, bot er den Wachen ein leichtes Ziel.
Toboe hielt es nicht mehr aus und rannte kurzentschlossen zum Versteck des Wölfe zurück, obwohl er eigentlich schon nicht mehr konnte und seine Lunge bissig brannte. Er musste die anderen warnen!

Hige rannte. Mit kraftvollen Sätzen jagte er über das Gras und streckte sich bei jedem Sprung, so weit er konnte. Das blindwütige Bellen der Hunde und das Rauschen seines Blutes dröhnte in seinen Wolfsohren. Pochend wummerte sein Herz im Brustkorb und schien die Rippen zu sprengen. Die Erschöpfung kroch seine Läufe hinauf und klammerte sich unnachgiebig an seine Pfoten, die immer schwerer wurden. Vor ihm lag der Wald. Er musste ihn erreichen, bevor die Hunde ihn einholten. Einen Blick über die Schulter konnte der Wolf nicht riskieren, aber er spürte, wie nah die Meute hinter ihm war, konnte ihre gebleckten Zähne und hasserfüllten Kiefer schon fast in seinem Rücken spüren.
Hige tauchte in den Schatten der ersten Bäume ein und wand sich zwischen Baumstämmen und dichten Gebüschen hindurch. Der weiche Waldboden gab seinen Pfoten Halt und verschaffte ihm wieder einen Vorsprung. Die Hunde fielen zurück. Hinter ihm erklang zorniges Kläffen, als die Meute merkte, dass der Wolf ihr entkam. Hige schöpfte dadurch neue Kraft und rannte weiter, mitten ins Herz des Waldes hinein. Das Licht wurde schwächer, und die wenigen Sonnenstrahlen, die sich in staubigen Lichtkränzen durch das dichte Blätterdach der Bäume verirrten, verliehen dem Wald eher eine unheimliche Aura, als dass sie ihn erhellt hätten. Aber Higes Augen fanden sich auch im Dunkel zurecht und wiesen ihm den Weg durch wucherndes Dickicht und an mossbe­wachsenen Baumstämmen vorbei, deren raue, borkige Rinde mit den Narben ihres Alters übersät waren. Higes Herz pochte wild, nun jedoch vor Erleichterung. Er rannte weiter – bis er mitten in die schwarze Hündin hineinraste und sie sich ineinander verkrallt auf der dem dampfenden Moos überschlugen. Hige riss die Augen auf. Er hatte nicht aufgepasst.
Die weißen Fänge der Hündin schimmerten im Dunkel, und ihre strahlend blauen Augen funkelten in einem düsteren, hasserfüllten Licht. Hige schnellte auf, aber er war zu langsam. Die Hündin stieß ihn zu Boden, und im Fallen streifte Hige ihr seidiges, schwarz glänzendes, schweißendes Fell. Der weiche Boden linderte seinen Aufprall, aber der Ruck fuhr ihm durch alle Glieder und kroch nagend seine Wirbelsäule bis zum Nacken hoch, der unkontrolliert gegen morsches Holz prallte. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen, und als er wieder zu sich kam, wucherte über ihm der lichtfressende Schatten der Hündin in die Höhe. Die stählerne Iris ihrer Augen irisierte in wahren Kaskaden aus Blautönen. Hige sah, wie sie die Kiefer aufriss und ihre Zähne blitzten, aber er hatte nur Augen für das strahlende Blau. Es kam ihm so bekannt vor ... Er konnte sich nicht erinnern ... Aber dieses Blau!
Schnappend legten sich die Kiefer um seinen Hals, und der Schmerz explodierte in seiner Kehle. Nur sein dickes Fell schützte Hige vor dem tödlichen Biss. Er musste sich wehren, musste dieser blutgeilen Hündin an die Kehle gehen, aber er konnte es nicht. Er wollte sich nicht rühren, wollte sie nicht verletzen. Dieses irritierende Gefühl der Verbundenheit, das über seinen Schmerz und das Brennen des warmen Blutes auf seinem Pelz hinausging, hinderte den Wolf daran, die Hündin anzu­greifen.
Da erklangen herrische Schreie und plötzlich wurde die Hündin von ihm gezerrt. Sie schrie zornig auf und wand sich in den Armen des Mannes, der sie von Hige fortzog. Betäubt schloss der Wolf die Augen und spürte kaum noch, wie zwei Hände ihn packten und auf eine Plane schleppten, die über ihm zusammenfaltet wurde. Alles wurde still und dunkel um ihn herum, nur das hasserfüllte Bellen der schwarzen Hündin klang ihm noch lange in den Ohren nach.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:15 pm

KAPITEL 12

Als Toboe das Versteck der Wölfe erreichte, sahen die anderen sofort, dass etwas schiefgelaufen war. Kiba richtete sich auf und kam Toboe entgegen, der völlig erschöpft vor den anderen in die Hocke ging und sich die stechenden Seiten hielt.
„Was ist passiert? Wo ist Hige?“, fragte Kiba eindringlich. Die anderen scharten sich um Toboe und blickten ihn beunruhigt an. Toboe schüttelte den Kopf, bis er wieder atmen konnte.
„Er ist ins Gebäude rein, und ich ... sollte draußen auf ihn warten. Dann kamen diese Hunde ...“, er rang nach Luft, „und Hige wollte sie ablenken. Ich hab ihn aus den Augen ... verloren, er ist ... zum Wald gerannt.“ Toboe hustete. Durch den Sprint fühlte sich seine Kehle trocken und blutig an.
Kiba richtete sich auf und schaute die anderen an. Seine Augen blickten ernst. „Wir müssen ihn da rausholen.“ Er wandte sich Toboe zu, der immer noch angeschlagen im Gras hockte. „Wie viele Hunde waren es?“
Der Junge blickte auf. „Zu viele.“
Tsume verschränkte die Arme. „Das ist mal 'ne klare Auskunft.“ Er starrte Kiba an. „Wie stellst du dir das vor, einfach reingehen und Hige mitnehmen?“
Verärgert runzelte Kiba die Stirn. „Wenn du an seiner Stelle wärst, würden wir dasselbe tun. Denk mal darüber nach.“ Tsumes Blick verfinsterte sich, aber er sagte nichts.
Kiba wandte sich ab und blickte in das Tal hinunter, über dem finstere Wolkenschatten ihre Bahnen zogen. „Wir werden uns im Schutz der Nacht anschleichen. Und wir sind zu sechst“, sagte er leise. „Die werden kaum mit einem Angriff rechnen.“ Er streckte Toboe die Hand hin und zog ihn auf die zitternden Beine. Er spürte die Gedanken des jungen Wolfs.
„Toboe“, sagte der weiße Wolf beschwichtigend. „Niemand macht dir Vorwürfe.“
Der Junge blickte zögernd auf, senkte den Kopf aber unter Kibas Blick wieder. „Ich bin einfach weggerannt, dabei hätte ich ihm helfen müssen. Zusammen hätten wir die Hunde ...“ Er verstummte und blickte zu Boden.
Kiba schüttelte den Kopf. „Du hast selbst gesagt, es waren zu viele. Ihr hättet nicht gewinnen können.“ Er blickte in die Runde. „Wir werden Hige befreien. Seit ihr immer noch bereit, uns zu folgen?“, fragte er und wandte sich an die Wölfe. Hanpaku trat vor und stellte sich neben Kiba, und Asa folgte ihm. Sie trug Ohisama auf der Schulter, die bis jetzt noch immer kaum ein Wort gesagt hatte. Ihre dunklen Augen schwiegen, blickten aber neugierig. Dann standen nur noch Tsume und Kawa da, die sich kurz in die Augen sahen. Kawa nickte, strich ihrem Pferd flüchtig über den Hals und trat dann neben die anderen. Tsume folgte ihr und blieb vor Kiba stehen. Die beiden Wölfe blickten sich angespannt in die Augen, aber die Feindseligkeit war aus ihnen verschwunden.
„Ich weiß nicht, was das bringen soll“, meinte Tsume schließlich, „aber ich schätze, ich werde es ir­gendwann erfahren.“
Kiba nickte lächelnd. „Das wirst du. Du hast es sogar schon getan. Die Erinnerungen kehren bereits zurück, auch wenn du es nicht merkst.“
Im Lauf der folgenden Stunden warteten die Wölfe auf den Einbruch der Dunkelheit und schauten dem blassen Sonnenball zu, wie er rauchend über den Himmel rollte. Am Abend blieb Asa bei Kage zurück, um über Ohisama wachen zu können. Als schließlich die ersten Sterne aus dem satten Dunkelblau der heraufziehenden Nacht brachen, verließen sie ihr Versteck und glitten als un­sichtbare, leichtfüßige Schemen in das Tal hinab. Ihre hellen Wolfsaugen glühten im Dunkel und das Licht des zunehmenden Mondes schimmerte auf ihrem Fell. Das Rudel fächerte aus und näherte sich auf verschlungenen Wegen dem Nordtrakt, der sich nun in der Nacht wie ein massiger Fels­brocken in der Senke türmte. Mit wenigen Sätzen waren die Wölfe auf dem Dach und drangen über die Luke, die bereits Hige benutzt hatte, ins Innere des Gebäudes ein. Die Wachsoldaten, deren steife Gestalten sich auf dem Gelände reihten, bemerkten nichts von den Eindringlingen.
Im Inneren teilten sich die Wölfe wortlos auf und bildeten zwei Gruppen. Kiba nahm mit Hanpaku den linken Flur direkt zu den Käfigen, während sich Tsume, Toboe und Kawa über den rechten Gang eine Schleife durch das Gebäude suchten. Leise und schemenhaft eilten sie an verschlossenen Türen und großen gläsernen Scheiben vorbei, hinter denen Fließbänder und Stanzroboter rhyth­misch lärmten, und durch lange ausgestorbene Gänge, auf denen um diese Uhrzeit niemand unter­wegs war und in denen die Stille wabernd in der Luft zu liegen schien. Eng an die kalten, sterilen Mauern gepresst, näherten sie sich langsam dem Trakt mit den Käfigen, und das ferne Kläffen der Hunde schwoll immer mehr zu einem wahren Stakkato an.
Vor den schweren eisenbeschlagenen Türflügeln, die zum Käfigtrakt führten, trafen sie sich wieder und Kiba blickte Tsume fragend an. Dieser schüttelte den Kopf.
„Drei Wachen, mehr nicht.“
Kiba nickte und trat dann auf die eherne Tür zu, deren Flügel sich geräuschlos vor ihm auftaten. Dahinter lag ein schwach erleuchteter Gang, auf dem sich zu beiden Seiten enge, mit fest im Boden verankerten Gitterstäben eingefasste Käfige reihten. Als die Wölfe den Trakt betraten, verstummte das unruhige Fiepen und Kläffen der Hunde für einen Moment, bevor es wieder anschwoll, dieses Mal jedoch lauter und zorniger. Sie eilten den Gang hinab und blickten flüchtig in die schmalen Zellen hinein, in denen sich ein Blick des Elends bot. Viele Hunde hatten räudiges, schwielendes Fell und litten unter Parasiten. Nach Tagen ohne Schlaf und Pflege stand ein strenger Geruch im Trakt, und die heiße Luft lag schwer über den Käfigen.
Der Trakt erstreckte sich über mehrere Dutzende Meter, und an je mehr Käfigen Kiba vorbeischritt, desto fassungsloser wurde er. Er verachtete Hunde, sie gehörten nicht zu seiner Art und fürchteten oder hassten Wölfe, aber das Leid, das ihm von der anderen Seite der Gitter entgegenschlug, konnte er nicht mit ansehen. Viele der Hunde hatten kahle Stellen an den Flanken und am Bauch, die mit feinen, teils noch frischen Schnittwunden übersät waren. Der weiße Wolf erkannte die Tragweite von dem, was in diesem Labor vor sich ging. Hunde wurden als Versuchstiere missbraucht, zu willenlosen Bombenträgern gedrillt und in einen langsamen, frühen Tod geschickt, um den Men­schen die Mühen des Morden abzunehmen. In Kiba stieg die kalte Wut hoch. Ein Blick zu den an­deren zeigte ihm, dass sie ähnlich fühlten. Gerade als er meinte, den Gestank und das Elend der Hunde nicht mehr ertragen zu können, hörte er plötzlich vom Ende des Ganges einen leisen, aber bestimmten Ruf. Kiba wandte sich ab und lief rasch an den letzten Käfigen vorbei, bis er hinter der Wand aus Eisenstäben Hige erkennen konnte, der sein Gesicht gegen das Gitter presste und ihnen aufgeregt mit den Händen zwischen den Stangen zuwinkte. Kiba wollte schon erleichtert seinen Namen rufen, da erklang plötzlich in der Ferne das knatternde Geräusch eines Helikopters, der mit wirbelnden Rotoren über das Tal auf das Labor zuhielt. Die Wölfe blickten auf und horchten auf das lauter werdende Geräusch. Der Lärm der Rotorenblätter wurde lauter und vielstimmiger. Es waren mehrere Hubschrauber, die über die Senke jagten. Kiba spürte, wie sich seine Nackenhaare wie elektrisiert aufstellten. Er spürte, dass sie keine Zeit mehr hatten. Der Wolf stürzte vor und verbiss sich mit gebleckten Zähnen in den Eisenstangen, und die anderen taten es ihm gleich. Im bedrohlichen Summen der Rotoren gingen die Schreie der Hunde immer mehr unter, bis schließlich nur noch das rasende Schlagen der Blätter in ihren Wolfsohren hallte. Kiba schüttelte den Kopf. Der Lärm der Helikopter überflutete seinen Kopf mit Farben und Klangtönen, dass ihm schwindelig wurde. Plötzlich ging mit einem Mal alles ganz schnell. Genau über ihren Köpfen erklang ein gespenstisches Pfeifen, das immer lauter wurde, und den Bruchteil einer Sekunde, bevor das helle Kreischen einschlug, dachte er sich: Nicht hinschauen.
Er hörte die Explosion im gleichen Augenblick, in dem er ihre gewaltige Hitze spürte, die ihm das Fell versengte. Und dann war es, als würden sie von der Sonne selbst verschlungen.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:15 pm

KAPITEL 13

Eine fürchterliche Hitze hüllte Kiba ein. Es war dunkel, und er konnte sich nicht daran erinnern, was passiert war. Der Gestank von versengtem Fleisch und rauchenden Steinen hing in der Luft. Erst träge, dann in wachsender Panik versuchte der Wolf, sich zu erinnern. Aber da war nichts. Nur ein glühender Schmerz, der mit heißen Nadeln in seinen Rücken stach. Erschöpft keuchte er, hustete Staub und Bruchstücke von Mörtel aus Maul und Nase.
Was war passiert?
Mit angewinkelten Schultern und scharrenden Pfoten versuchte er, auf die Beine zu kommen. Das erdrückende Gewicht lag schwer auf ihm, aber schließlich fanden seine Krallen Halt und er spürte, wie die dampfenden Steine über ihm einige wertvolle Zentimeter nachgaben. Es fühlte sich an, als würde er durch riesige Kiefer mit messerscharfen Zähnen gezogen. Er riss das Maul zu einem Schrei auf, aber seine Kehle blieb stumm. Der Kopf schmolz ihm vor Schmerz, Feuer brannte in all seinen Gliedern. Aber er gab nicht auf und wand sich und schlug um sich, Schultern und Rücken gegen den Stein gebogen. Er spürte, wie das Gewicht nachgab und loses Geröll und Schutt um ihn herum niederrieselten. Immer wieder bäumte sich der Wolf auf und stieß mit den Pfoten gegen alles, was sie berührten.
Dann war er plötzlich frei, und seine Schnauze brach krachend zur Oberfläche durch. Gierig schnappte Kiba nach Luft, dann wand er sich unter den großen, zersplitterten Steinbrocken hervor, die ihn unter sich begraben hatten. Langsam öffnete der Wolf die Augen, die von Tränen und Staub getrübt waren. Er stand inmitten eines Trümmerhaufens von geborstenem Geröll und eingerissenen Mauern, von denen der Rauch aufstieg. Die Erinnerung war wieder da. Ein Lichtblitz. Die Vor­ahnung eines verheerenden Geräusches. Er wandte den Kopf und blinzelte durch das klaffende Loch in der eingestürzten Decke zum Himmel hinauf. Durch den wirbelnden Staub funkelten Sterne zu ihm herunter. Dann drang das aggressive Schlagen der Rotoren wieder an seine Ohren, und ein zweiter Lichtblitz erstrahlte am Himmel, dessen Druckwelle die zerstörten Mauern erschütterte. Kiba wankte, konnte sich aber auf den Beinen halten. Sein Blick strich über die Verwüstung, in deren Mitte er stand. Zwischen den Felsbrocken sah er verrenkte Körper, die in unnatürlichen Posen unter den Steinen verkeilt lagen, und zuckende Gliedmaßen, die verzweifelt im Staub scharrten. Wölfe waren unter ihnen. Kibas Blick traf sich mit den hellen Augen eines Jungwolfes, dessen Körper unter der eingestürzten Mauer begraben war. Sie starrten ihn voller Schmerz an, und Kiba konnte nicht anders, er wandte entsetzt den Kopf ab. Der Wolf lebte noch, aber dieses Leben würde nicht mehr lange dauern. Er hätte ihm nicht helfen können.
Kiba blickte sich zitternd nach den anderen Wölfen um, als plötzlich neben ihm ein schwerer Steinbrocken zur Seite gewuchtet wurde und sich ein brauner, staubbedeckter Schopf aus dem Ge­röll herausschob. Higes Gesicht und seine Hände waren über und über mit Schnittwunden übersät, aber ansonsten schien er unverletzt. Kiba trat neben ihn und zog ihn auf die Beine.
„Los, helfen wir den anderen, und dann nichts wie weg“, zischte Kiba, aggressiver, als er es gewollt hatte. Hige blickte ihn an. „In meiner Zelle war noch ein anderer Wolf.“
Kiba nickte und seine Augen flogen durch den zerstörten Trakt. „Wenn er noch lebt, werden wir ihn finden.“ Aber wo? Die anderen konnten überall begraben sein. Da sah Kiba aus den Augenwinkeln eine flüchtige Bewegung und erkannte, dass es Hanpaku und Tsume waren, die sich aus den Überresten der Mauern gruben. Eine dicke, fettige Staubschicht lag auf ihren Kleidern und in ihren Haaren. Langsam und mit steifen Bewegungen kamen die beiden Wölfe zu Kiba und Hige hinüber. Hanpaku zog sein linkes Bein hinter sich her, und Tsume presste sich grimmig den Arm gegen die Seite, aber auch sie hatten die Explosion wie durch ein Wunder unbeschadet überstanden. Wieder ertönte in der Ferne das durchdringende Krachen einer dritten Bombe, die auf das Labor abge­worfen wurde, sofort gefolgt von einer vierten. Laute, panische Rufe erklangen, als die Menschen versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Kiba lauschte den Schreien und fühlte sich mit einem Male schrecklich hilflos. Es waren Menschen, die dort starben, aber sie waren zugleich Lebewesen, die genauso leben wollten wie alle andern auch. Und er konnte nichts tun.
„Toboe und Kawa fehlen noch“, sagte er und wandte sich ab, aber Hige hielt ihn am Arm zurück. „Taiin auch“, erinnerte er ihn und stieg über ein umgestürztes Gitter, das mit einen dumpfen Laut auf den Stein schlug.
„Wer ist Taiin?“, fragte Kiba verwirrt, und Hige verdrehte die Augen. „Der Wolf, von dem ich dir eben erzählt habe. Er heißt so.“ Kiba nickte bloß benebelt.
Suchend liefen die Wölfe im zerstörten Trakt auf und ab, vorbei an verrenkten Kadavern und halbtoten Körpern, Wölfen wie Hunden, deren tote Augen in ihrem erstarrten Schmerz das einzig Lebendige an ihnen waren. Die Hunde, die den Einsturz überlebt hatten, waren bereits geflüchtet und hatten vor den weiteren Angriffen das Weite gesucht.
Schließlich stolperte Hige über einen ausgestreckten Arm und begann sofort, die Steinbrocken zur Seite zu schleifen, die Toboe unter sich begraben hatten. Gemeinsam legten sie den reglosen Körper des Jungen frei, der zusammengekauert mit angewinkelten Beinen und schützend über dem Kopf gehobenen Armen im Schutt lag. Kiba griff nach seinem schlaffen Handgelenk. Leise und zaghaft spürte er den Schlag in den Adern, und erleichtert richtete der Wolf sich auf. Da stand plötzlich hinter ihm ein fremder Mann, ein Wolf, und blickte sie mit verzerrten Zügen an. Der Stoff seines Hemdes war an den Schultern aufgerissen und entblößte klaffende Wunden, die die Explosion ins Fleisch gerissen hatte. Der Atem des Wolfes ging pfeifend, und eine steile Falte des Schmerzes hatte sich zwischen seine Augenbrauen gegraben. Braune Haarsträhnen fielen ihm wirr ins fahle Gesicht.
„Taiin“, rief Hige erleichtert und trat auf ihn zu. „Kannst du gehen?“
Der andere nickte mühsam. Mit zusammengebissenen Zähnen lehnte er sich gegen die rußige Mauer und blickte die anderen Wölfe an. Seine kurzgeschnittenen braunen Haare waren mit Blut und Staub verklebt, aber unter der Müdigkeit in den scharfen Gesichtszügen des Wolfes schlummerte eine letzte Kraftreserve.
„Hier“, erklang eine schwache Stimme hinter ihm. Die Wölfe fuhren herum und erkannten in den grauen Augen Kawa, die direkt neben Toboe verschüttet worden war. Eine breite, scharfkantige Steinplatte lag über der Wölfin und presste ihr langsam, aber sicher die Lunge im Brustkorb zusam­men. Kawa wollte nach Luft schnappen, aber ihre Kehle war von scharfen Splittern wund gerissen worden und der bittere Blutfilm, der auf ihren Schleimhäuten lag, verklebte die Atemwege. Ihre Lider wurden schwerer und schwerer, sie driftete ab und spürte kaum noch, wie sich die Wölfe mit vereinten Kräften gegen das Gewicht der Platte stemmten. Dann packten kräftige Kiefer Kawa vor­sichtig am Nacken, fremdes, warmes Wolfsfell strich ihr über den Rücken, und während sie noch über den splitterbedeckten Boden geschleift wurde, war ihre Kehle plötzlich wieder frei und zitternd tat sie den ersten Atemzug. Kalt und staubig füllte die Luft ihre Lungen, und die Kraft strömte pulsierend in ihre Adern zurück. Aber sie hatte nicht die Zeit, wieder zu Kräften zu kommen. Keuchend richtete Kawa sich auf ihren zitterten Vorderläufen auf und stemmte sich dann unsicher auf die Beine. Als sie den schmerzenden Hals drehte, sah sie, dass Tsume neben ihr stand und ihr einen seltsamen Blick zuwarf, bevor er sich mit steifen Schritten wieder von ihr abwandte. Kawa senkte den Kopf.
„Dann lasst uns verschwinden“, sagte Kiba und wollte gerade über die Mauern setzen, als in seinen Ohren die nächste Bombe explodierte, näher und lauter dieses Mal, und die Wölfe blickten aufge­schreckt zum Himmel hinauf. Die Sterne wurden vom massigen Schatten eines Helikopters ver­deckt, der genau über ihren Köpfen seine Bahnen zog. Nadelscharfe Laserstrahlen wirbelten durch die Luft und malten wild tanzende rote Punkte an die zerrissene Mauer. Am Bauch des Helikopters erschien ein gleißendes Licht, und ein schwarzer Schatten raste auf sie zu. Die Wölfe sprangen in­stinktiv zur Seite und Hige riss Toboe mit sich, als sie sich unter einem schmalen Vorsprung, einem kümmerlichen Überbleibsel des Daches, vor der Granate in Sicherheit brachten. Hatten die Grund­mauern der ersten Explosion noch standhalten können, so gab der zweite Einschlag ihnen nun den Rest und ließ sie in einer dichten Wolke aus Schutt und Staub endgültig in sich zusammenstürzen. Eine trübe, undurchdringliche Lawine aus scharfen, zerspringenden Steinsplittern und schwellenden Staubmassen walzte durch die Senke. Die Wölfe drängten sich eng aneinander und kauerten sich zusammen, bis sich die Wolke wieder legte.
Langsam schälten sich die Schatten zersprengter Mauersteine aus dem qualmenden Weiß, und kaum dass Kiba die Orientierung wiedergefunden hatte, sprintete er los. Es gab keine Zeit mehr zu ver­lieren, und er konnte es sich nicht leisten, darauf zu achten, dass alle beisammen blieben. Jeder von ihnen musste es alleine schaffen, genau durch einen Hexenkessel aus tanzenden Lasernadeln und explodierenden Granaten und Bomben, die rauchende Krater in die Senke schlugen und Feuer und Hitze über das Tal warfen. Rotes Flackern tauchte die Ruine in ein gespenstisches Licht, als die Wölfe sie hinter sich zurückließen. Das Feuer fraß die rußigen Mauern und die zerschundenen Kadaver derer, die in ihnen umgekommen waren, und sprang mit glühenden Zungen auf die Büsche über, die bald lichterloh in Flammen standen. Dunkles, hungriges Knistern und das Knacken ver­brannter Äste lag in der Luft und wurde mit den Schwärmen fliegender Funken über das Tal ge­tragen. Die Rotoren heulten wie dunkle Dämonen und jagten knatternd über den rußgeschwärzten, funkensprühenden Himmel, Schneisen der Zerstörung hinter sich zurücklassend.
Kawa rannte, und mit jedem Satz weiteten sich ihre Lungen, gierig nach Luft schnappend. Sie warf einen bitteren Blick zu Tsume hinüber, der sich vor ihr in vollem Lauf streckte, und obwohl ihr Körper vor Erschöpfung fast zusammenbrach, arbeitete der Verstand der Wölfin vollkommen klar, worüber sie selbst erstaunt war. Ihr Herz tat einen schmerzhaften Sprung. Warum? Warum er, und warum jetzt? Eine Antwort fand sie aber nicht. Auf diese Frage hatte sie noch nie eine gefunden.
Als die Wölfe den Hang hinaufflüchteten, ließen sie hinter sich ein zerstörtes, loderndes Tal zurück, in dem die hasserfüllte Blindheit des Menschen gewütet hatte. Das wilde, zornige Rauschen des Flammen hallte noch die ganze Nacht durch die Senke, und als der Morgen anbrach und das Rudel bereits die kahlen Hügel hinter sich gelassen hatte, stieg der heiße Rauch von der Asche auf und verflog in der kühlen Morgenluft.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyDo Okt 16, 2008 6:17 pm

KAPITEL 14

„Wer war Cheza?“
Kiba blickte zur Seite. Neben ihm lag Hige unter dem Schatten einer Birke im kühlen Gras, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und schaute einer Taubenformation hinterher, die unter der blassgelben Morgensonne pfeilschnell durch den blauen Himmel schoss. Kiba folgte seinen Blick und starrte den Tauben hinterher, bis sie zwischen den weißen Wolken verschwunden waren. Seine Augen verloren sich in den Höhen.
„Sie war eine Blume. Künstlich in einem Labor geschaffen.“ Er seufzte und setzte sich dann auf. „Eine Mondblume.“
„Eine Blume in Menschengestalt?“ Hige klang überrascht. Da Kiba nicht antwortete, stützte er sich auf die Ellenbogen und blickte den anderen fragend an. Als er aber den Ausdruck auf Kibas Gesicht sah, senkte er bedrückt die Augen. „Du ... mochtest sie, hab ich Recht?“, fragte er leise und blickte zu den Wolken. Kiba verschränkte die Arme vor den Knien und legte den Kopf auf die Unterarme. Sein Blick strich über das Gras, das sich sanft im Morgenwind wiegte. Die Sonne wärmte zum ersten Mal seit Tagen wieder, das Zirpen von Grillen lag in der Luft, und nichts erinnerte mehr an den Schrecken der vergangenen Nacht. Die Wölfe waren im Dunkeln nur kurz zum Versteck zu­rückgekehrt, um Asa, Ohisama und die Stute mitzunehmen, und waren dann Richtung Süden ge­flohen, von der Stadt und dem versengten Tal fort. Nun hatten sie auf einer kleinen Anhöhe inmitten eines von Hügeln und Tälern geprägten Graslandes Schutz zwischen einer Gruppe von Findlingen gefunden. Kiba blickte sich um. Tsume, Hige und Kawa waren auf der Jagd. Toboe saß neben Kawas Stute im Gras, seinen weißen Kater auf dem Schoß. Hanpaku lehnte an einem Findling, Ohisama in den Armen, und ruhte sich aus, und Asa hatte sich um Taiins Wunden gekümmert, der nun in einem unruhigen Schlaf lag. Kiba hätte diesen Moment der Ruhe genießen können, aber seine Gedanken jagten sich gegenseitig nach ihren Schwänzen. Er kam einfach nicht zur Ruhe. Irgendetwas in seiner Brust zog und zerrte an dem Wolf und ließ Bilder wieder aufsteigen, Gefühle und Gedanken, die er alle schon einmal gefühlt und gedacht hatte und die er am liebsten vergessen würde. Was war damals schief gegangen, dass sich das Paradies nicht geöffnet hatte? Was hatten sie falsch gemacht, was übersehen? Hatten sie, hatte er selbst versagt? Trauer nagte an ihm, Sehnsucht, aber auch der übermächtige Wunsch, noch einmal eine zweite Chance zu bekommen. Oder wenigstens ... Der Wolf schloss die Augen. Er hatte ihr sein Versprechen gegeben. Cheza. Er musste sie suchen. Und wenn er dafür bis zum Ende der Welt gehen musste. Das hatte er schon einmal ge­schafft. Er würde es wieder schaffen.
„Als mich die Fänger geschnappt haben ... Also kurz davor ... Da stand eine Hündin vor mir“, mur­melte Hige gedankenverloren. „Mit blauen Augen.“ Er ließ sich ins Gras zurückfallen. „Und ich hatte das Gefühl, sie zu kennen.“ Er schielte zu Kiba hinauf. „Könnte es nicht sein ...“
Der Wolf starrte auf ihn herab. „Eine Hündin? Schwarz, mit blauen Augen?“ Hige nickte verwirrt. „Hab ich gesagt, dass ihr Fell schwarz ist?“
Kiba antwortete nicht, sondern starrte Hige weiter an, bevor er sich plötzlich erhob und aus dem Schatten der Birke trat. Hige runzelte die Stirn. Nach einigen Atemzügen wandte er sich um. „Das war Blue.“
Der braune Wolf hob nur hilflos die Hand und blickte ihn fragend an. „Wer ist Blue?“ Der Name sagte ihm nichts. Bloß die Augen waren ihm so seltsam vertraut vorgekommen ...

Lautlos, Schatten gleich, die über das sanft schillernde Gras glitten, trabten die jagenden Wölfe über die Hügel und verschmolzen mit den schlanken Halmen, die ihnen über die Flanken strichen. So leichtfüßig setzten sie ihre Pfoten auf, dass kein Geräusch sie verriet und kein Vogel erschreckt auf­flog. Der Wind, der in ihre Richtung wehte, trug ihnen die Witterung zu und weckte den Jagdeifer. Vor ihnen in einer Senke stand eine kleine Gruppe Hirschkühe und graste friedlich, die flauschigen Ohren aufmerksam zuckend. Die Wölfe trennten sich und strahlten als Fächer aus. Sonnenlicht schien auf ihr Fell, sie fühlten sich frei und unbeschwert, und sie genossen es.
Higes Nackenfell sträubte sich, als er sich duckte und durch das hohe Gras schlich. Die Witterung wurde stärker und er stellte die Ohren auf, die Augen blitzten. Wenige Meter neben ihm strichen Tsume und Kawa durch das Gras auf eine Kuh zu, die sich am Rand der Herde niedergelassen hatte und wiederkäute. Plötzlich hob eines der Tiere den Kopf, und die ganze Herde nahm Reißaus. Der Wind hatte gedreht.
Aus der Deckung des hohen Grases schnellten drei langgestreckte glänzende Körper auf die Hirsche zu. Die Wölfe rannten pfeilschnell, jagten in gerader Linie die Senke hinunter und hängten sich an die fliehenden Läufe der Tiere. Die Kuh, die eben noch im Gras gelegen hatte, schaffte es nicht, mit den anderen aufzuschließen. Hige war schon fast nahe genug, um zuzubeißen. Sein Herz raste, der Wind pfiff ihm um die Ohren und der Angstschweiß des Tieres drang ihm tief in die Nase. Hinter ihm bellte Tsume kurz und abgehackt, und die anderen verstanden instinktiv, was er wollte.
Kawa hetzte dem Hirsch hinterher und kam von links, jagte knapp hinter den wirbelnden Hufen des panischen Tieres dahin. Neben ihr sprang Tsume mit kraftvollen Sätzen über das Gras, und Kawa wollte ihm ausweichen, konnte sich aber noch beherrschen. Für einen Moment vergaß sie die Beute und die peitschenden Tritte des fliehenden Tieres. Obwohl ein Teil von ihr Tsume am liebsten immer noch an die Kehle gegangen wäre, genoss sie es mit einem Mal, mit diesem verhassten grau­en Wolf über das schillernde Gras zu fliegen und dem scharfen Duft der Beute zu folgen. Die Bewe­gungen der beiden Wölfe waren so gut aufeinander eingespielt, als hätten sie schon oft zusammen gejagt. Und sie hatten es, früher, dachte Kawa bei sich, bevor die Narbe in ihre Schultern gerissen worden war. Trotz der bitteren Erinnerung konnte sie über diesem Gefühl der Freiheit ihre Wut für einige kostbare Atemzüge vergessen, und sich daran erinnern, wie es früher gewesen war ...
Die Wölfin spannte jeden Muskel unter ihrem glänzenden braunen Fell und streckte sich, soweit sie konnte. Die Narbe in ihrem Nacken schillerte im Sonnenlicht. Der Abstand schwand zusehends. Tsume schnappte nach dem Hinterlauf des Tieres, während Hige dem Hirsch von der Seite mit einem schweren Satz auf den Rücken sprang und sich in seinem ungeschützten Nacken verbiss. Die Kuh schlug wild um sich und bockte, strauchelte aber plötzlich und ging unter dem Gewicht der beiden Wölfe jammernd in die Knie. Kawa umkreiste das Tier und blickte ihm kurz in die panisch aufgerissenen Augen. Dann sprang sie vor und schloss ihre Kiefer um die weiche, entblößte Kehle. Ihre Zähne gruben sich tief in das warme, weiche Pulsieren des hämmernden Herzschlages, und sie trank das heiße, bittere Blut, das aus der Wunde heraus in ihre Kehle spritzte. Der Biss hatte die Schlagader am Hals der Kuh zerfetzt, und das Tier verlor bereits entkräftet das Bewusstsein. Zwischen Kawas harten Kiefern erschlaffte der Körper, aber sie ließ nicht los. Zum ersten Mal seit langem hatte sie wieder im Verbund mit anderen Wölfen gejagt, und sie hatte es genossen. Schließ­lich ließ sie den schlaffen Hals zu Boden gleiten und blickte die beiden anderen Wölfe leise hechelnd an. Hige hob den Kopf und sang ein freudiges Heulen in den Himmel. Aus der Ferne erklang eine vielstimmige Antwort. Die anderen machten sich auf den Weg zu ihnen. Schließlich ließ Hige sich auf den Hinterbeinen nieder, die Augen hungrig auf den Kadaver des Hirsches ge­richtet und ungeduldig zu Kawa hinüber schielend. Die Wölfin blicke ihn fragend an, und er deutete einladend auf das Fleisch.
„Du hast es gerissen, dir gehört der erste Bissen.“
Sie schüttelte nur verständnislos den Kopf, lächelte aber. „Wo ich herkomme, gab es solche Regeln nicht“, sagte sie und schielte aus den Augenwinkeln zu Tsume hinüber, bevor sie ihre Zähne in das warme, dampfende Fleisch des Hirsches schlug. Der Graue verzog keine Miene, trat nur neben Hige, der sich nun hungrig über den Kadaver hermachte, und senkte den Kopf. Ihr Blick verdüsterte sich. Er wusste immer noch nicht, wer sie war. Wie auch. Das Hochgefühl von eben war verflogen, und die Narbe begann wieder zu pochen, leicht nur, aber mahnend und bestimmt, um sie nicht ver­gessen zu lassen, wem Kawa sie zu verdanken hatte.
Nur wenig später gesellten sich auch die anderen Wölfe zu ihnen dazu, nur Asa war mit Taiin und Ohisama beim Lager zurückgeblieben. Sie wandten sich schweigend der Beute zu, und nur ihre krachenden Kiefer und das scharfe Brechen und Reißen von Knochen und Sehnen war zu hören. Über ihnen am Himmel fanden sich die ersten Aasfresser ein, die gemächlich ihre Runden zogen und darauf warteten, dass die Wölfe ihnen den Kadaver überließen.
Allmählich war der Hunger des Rudels gestillt. Hige leckte über einen abgenagten Knochen, und Tsume fuhr sich mit der Zunge über die blutbefleckte Schnauze.
„Wir müssen noch Fleisch für die anderen mitnehmen“, erinnerte Kiba die Wölfe und trat vor. Die Rippen des Hirsches standen bereits hervor, trotzdem war noch ein Großteil unberührt geblieben. Gerade als die Wölfe mit groben Fleischstücken im Maul zu den Findlingen zurückkehren wollten, stutzte Kawa plötzlich und blieb stehen. Sie legte das Fleisch im Gras ab, wandte sich um und trabte zögernd, die Nase am Boden, auf den nächsten Hang zu. Für einen Moment hatte ein schwacher, aber vertrauter Geruch in der Luft gelegen ...
Die anderen Wölfe machten Halt und beobachteten Kawa, wie sie den Hang hinaufschnürte. Oben auf dem Hügel blieb sie plötzlich stehen. Ihr Rückenfell stellte sich auf, und dann verschwand sie mit einem Satz hinter der Kuppe. Die anderen sahen sich verwirrt an, legten die Fleischbrocken ab und folgten der Wölfin den Hang hinauf. Als sie auf der Anhöhe standen und den Steilhang hinunter blickten, stellten sie alarmiert die Ruten. Am Fuße des Hügels kniete Kawa, die entsetzt auf den schlaffen Körper in ihren Armen blickte. Es war eine junge Frau, deren hellblaues Kleid an den Ärmeln zerrissen war und lange Schürfwunden entblößte. Die blonden Haare fielen dem Mädchen in Strähnen ins müde, ergraute Gesicht. Langsam öffnete es die Augen, aber sie blickten ins Leere. Kawa strich Lain beruhigend über die Stirn legte ihr die Fingerkuppen an den Hals. Ihr Puls war kräftig, aber unregelmäßig. Sie wandte zu sich zu den anderen Wölfen um. Kiba kam langsam auf sie zu und ging neben dem Mädchen in die Hocke.
„Können wir ihr vertrauen?“, fragte er nur, und Kawa nickte. „Dann nehmen wir sie mit.“ Er blickte zu den anderen hoch, die sich um sie versammelt hatten. „Wir können sie nicht hierlassen.“
Er wollte nach den Schultern des Mädchens greifen, aber Kawa kam ihm zuvor und legte ihre Hände schützend auf Lains Kopf. „Ich kann sie tragen“, sagte sie und sah Kiba gelassen an, obwohl sie innerlich immer unruhiger wurde. Sie hatte dem Kind verboten, ihr zu folgen. Lain hätte im Dorf bleiben sollen. Kiba nickte und erhob sich wieder.
Die Wölfin umfasste Lains schmale Schultern und ihre Knie und hob den reglosen Körper so leicht hoch, als würde er nicht mehr wiegen als eine Feder. Sie nickte Kiba zu, und nur Sekunden später schnürten die Wölfe hintereinander, wie an einer Perlenschnur aufgezogen, den Hang hinauf und zum Lager zurück, wo der Rest des Rudels bei den Findlingen auf sie wartete.

Okay, ich weiß, es ist viel ... sehr ... viel ... Und es wird noch sehr viel mehr kommen ... Aber bis hierher bin ich vorerst gekommen. Momentan hab ich wenig Zeit, weiterzuschreiben, da mich die Schule gleich am Anfang nach den Ferien schon wieder ziemlich in Anspruch nimmt (leider ...), aber zwischendurch schreibe ich immer noch weiter. Kapitel 15 könnte also etwas auf sich warten lassen.
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyFr Okt 17, 2008 2:31 pm

Wow, du kannst echt gut schreiben! Du kannst ja mal drüber nachdenken, ein richtiges Buch zu schreiben ^^
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyFr Okt 17, 2008 3:38 pm

Hab auch schon verschiedene andere Geschichten geschrieben, bloß fürchte ich, werde ich *diese* ganz sicher nicht veröffentlichen können ... Ist ja eigentlich sogar Ideenklau ... Neutral Aber thx. ^^
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyFr Okt 17, 2008 8:11 pm

Ja... das denke ich leider auch T.T Aber man kann ja hoffen xD
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BeitragThema: Re: Wolf's Rain 2   Wolf's Rain 2 EmptyMi Okt 22, 2008 12:37 am

KAPITEL 15

Die Wölfe saßen im Schatten der Felsen im Kreis und beobachteten Kawa, die neben Lain saß und ihr immer wieder über den Arm strich. Das Mädchen war inzwischen wieder bei Bewusstsein, aber immer noch zu schwach, um sich aufsetzen zu können. Asa trat neben Kawas Stute und suchte in dem Sack, der neben ihren Hufen auf dem Boden lag, nach dem Wasserschlauch. Mit dem prall gefüllten Beutel kniete sie sich neben dem Mädchen nieder und setzte ihr den Schlauch vorsichtig an die spröden Lippen. Nachdem sie in tiefen Zügen getrunken hatte, kehrten Lains Lebensgeister allmählich wieder zurück. Schließlich setzte sie sich mit Kawas Hilfe auf und lehnte sich an den Stamm der Birke. Sie blickte die Wölfe nacheinander an, und ein müdes Lächeln erschien auf ihrem grauen Gesicht, als sie ihnen in die Augen sah.
„Ihr seid ... alle Wölfe, hab ich Recht?“, flüsterte sie, und ihre Stimme klang heiser. Das Rudel schaute sich überrascht an. Kiba beugte sich vor.
„Woher weißt du das?“ Er versuchte erst gar nicht, sein wahres Ich zu verbergen, denn etwas in den Augen des Mädchens machte ihm klar, dass es sinnlos wäre. Irgendwie schaffte es dieses Kind, hinter ihre Tarnung zu blicken.
Lain zuckte lächelnd mit den Schultern. „Ich konnte es schon immer“, sagte sie und blickte zu Kawa hinüber. „Dich hab ich damals auch sofort erkannt.“
„Woher kennt ihr euch eigentlich?“, warf Hige ein und blickte zwischen den beiden hin und her. Kawa schaute Lain kurz in die Augen und nickte dann.
„Ich habe sie als kleines Kind aus dem brennenden Haus ihrer Eltern gerettet. Beide kamen dabei ums Leben“, die Wölfin blickte wieder zu Lain hinüber, die die Augen gesenkt hielt, „aber ich konnte sie einer alten Frau aus dem Dorf in Obhut geben. Als sie starb, hat Lain ihre Wohnung übernommen, und seitdem komme ich alle paar Wochen vorbei, um nach ihr zu sehen.“
Die Wölfe nickten, konnten sich aber immer noch nicht erklären, warum Lain die Illusion durch­schaute. Sie konnten nicht ahnen, dass Kawa ihnen etwas verschwieg, und dies nicht zum ersten Mal.
Kiba stand mit einem Mal auf und wandte sich an Hanpaku. Dieser folgte ihm einige Schritte und nickte. Er wusste instinktiv, was der weiße Wolf dachte.
„Wir müssen sie mitnehmen“, meinte er. „Sie weiß von unserer Existenz, und wenn sich das ver­breitet, war es das.“ Der alte Wolf steckte die Hände in die Taschen seiner schwarzen Hose. Sein Mantel lag auf einem der Findlinge, und so trug er nun ein schwarzes Hemd, dessen Ärmel er zurückgeschlagen hatte.
Kiba wandte den Kopf und schaute zu Lain hinüber, die inmitten der anderen Wölfe saß und gerade versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. „Ich würde zu gerne wissen, woher sie diese Fähigkeit hat“, murmelte er leise. „Du hast Recht, sie geht mit uns. Allein würde sie es eh nicht bis zum Dorf schaffen, und wir haben nicht mehr die Zeit, sie dort hinzubringen.“
Die beiden Wölfe wandten sich wieder zu den anderen um, als plötzlich Regung in Taiin kam, der wenige Meter neben ihnen im Schatten der Felsen auf einer Decke lag. Kiba eilte zu ihm und kniete sich neben dem verwundeten Wolf nieder. Auch Asa trat heran, gefolgt von Hige, der sich neben Taiin ins Gras fallen ließ, während die anderen blieben, wo sie waren und nur zu ihnen herüber sahen.
„Wie geht’s dir?“, fragte Hige aufmunternd und blickte auf den Wolf herab. Taiins Züge hatten seit der letzten Nacht wieder eine gesunde Farbe angenommen, aber trotzdem stand in ihnen immer noch deutlich die Erschöpfung. Asa besah sich seine Wunden an den Schultern und gab auch ihm zu trinken, bis er sich nach einigen Minuten aufsetzen konnte. Er blickte in die Runde, erkannte aber unter den fremden Wölfen nur Hige, der im Labor mit ihm in derselben Zelle gesessen hatte.
„Was ist passiert?“, fragte der Mann benommen und wollte sich an die Stirn fassen, zuckte aber vor Schmerz zurück. Die Wunden hinderten ihn in seiner Bewegung.
„Das Labor ist angegriffen worden“, begann Kiba, und Hige fuhr fort: „Wir sind die ganze Nacht über gerannt, und du hast einen ganzen Tag verschlafen. Die hier“, er deutete auf die anderen Wöl­fe, „sind die, von denen ich dir erzählt hab.“ Er grinste und streckte Taiin seine Hand hin. „Komm, schauen wir mal, wie weit Asa dich wieder zusammengeflickt hat.“
Über Taiins Züge huschte ein Lächeln, als er sich mit Higes Hilfe auf die Beine zog. Er schwankte zwar anfangs, aber trotzdem konnte er schließlich ohne Stützen stehen. Der Wolf blickte in die Runde der anderen.
„Danke, dass ihr für mich gesorgt habt ... Ich hätte es nicht alleine geschafft“, meinte er. Die anderen blickten sich kurz an, dann trat Kiba vor und legte ihm die Hand auf den Arm.
„Wir sind ein Rudel, und wenn du willst, kannst du mit uns ziehen“, sagte er freundlich. Taiin nickte bloß, aber in seinen Augen stand Erleichterung.
Tsume trat vor und stellte sich neben Kiba. „Gutes Stichwort. Was hast du jetzt eigentlich vor?“
Kiba blickte ihn an. „Wir müssen in die Stadt zurück.“
Die anderen blickten ihn überrascht an. „Wieso denn das?“, fragte Tobe verunsichert. „Du wolltest doch unbedingt weg von dort?“
Kiba nickte zögerlich. „Das war mein erster Gedanke gewesen. Aber inzwischen ist mir klar ge­worden, dass wir zurück müssen. Die Gefahr sitzt dort, das spüre ich jetzt deutlich.“
Tsume schüttelte widerstrebend den Kopf. „Von was für einer Gefahr sprichst du überhaupt?“
Der weiße Wolf zog die Augen zusammen. Die Spannung zwischen den beiden war wieder da. „Eigentlich weißt du es“, sagte er leise. „Darcia.“ Bei diesem Namen zitterte seine Stimme leicht, und auch in den Augen der anderen konnte Kiba ein Erkennen, eine leise Ahnung lesen. Ihre Erin­nerungen waren nicht komplett gelöscht. Etwas schlummerte immer noch in ihrem Gedächtnis, nur hatten die Wölfe bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie Kiba getroffen hatten, nichts davon geahnt.
„Darcia?“, murmelte Toboe leise. Unbewusst fuhr er sich über die Schulter, als säße dort ein verbor­gener Schmerz, der nicht richtig verheilt war. Ein Kribbeln fuhr ihm über den Rücken. Den anderen ging es nicht anders. Auch Hige und Tsume schienen sich plötzlich unwohl zu fühlen, sie wurden unruhig und ließen ihren Blick aufmerksamer über die Ebene streifen, als könne diese namenlose Bedrohung jeden Moment zwischen den Findlingen hervorspringen. Hanpaku hob den Kopf. Auch in seinen Augen regte sich etwas, das Kiba aber nicht einordnen konnte. Es erinnerte ihn an eine verpasste Gelegenheit ... an Bereuen. Als hätte der alte Wolf einmal vor einer ähnlichen Bedrohung gestanden, aber sich ihr nicht gestellt. Kiba blickte ihn fragend an, aber Hanpaku schüttelte nur den Kopf.
„Du spürst die Gefahr. Und ein Wolf soll seine Instinkte nie ignorieren.“ Der Wolf blickte Kiba eindringlich, fast schon flehentlich an. „Also folge ihnen. Und wir folgen dir.“
Kiba verstand nicht, was ihm der Blick in Hanpakus Augen sagen wollte, aber er spürte, dass es dem alten Wolf bitterernst war. Was auch immer ihn zu diesen Worten gedrängt hatte, es saß tief, und solange Hanpaku darüber schweigen wollte, würde Kiba ihn nicht drängen. Schweigend nickte er und blickte in die Runde der Wölfe, die ihn aufmerksam ansahen. Sein Blick fiel auf Tsume, der am Rande des Kreises stand. Sein Blick wurde mit einem Mal glasig, und seine Haltung ver­krampfte sich. Kiba trat besorgt zu ihm hin, aber als er den Grauen an der Schulter packte, zuckte Tsume zurück. Kiba brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was mit dem Wolf war. Er erlebte dasselbe wie Hige, als sie bei der Fängerstation im Versteck gelegen hatten. Schon im nächsten Mo­ment klärten sich Tsumes Augen, und er stand wieder auf der Wiese. Überrascht hob er den Kopf und starrte Kiba an. „Was war das?“, murmelte er und versuchte, seine Unsicherheit zu überspielen. Er konnte sich nicht erklären, was gerade mit ihm passiert war. Ein stechender Schmerz war ihm durch den Rücken gefahren, so kalt und rasend, dass er sich nicht mehr hatte rühren können, und zugleich waren Bilder an seinem inneren Auge vorbei geflogen, die nichts als Hass und Ver­zweiflung mit sich brachten. Ein kaltes Prickeln fuhr ihm über den Schultern.
„Das ist deine Erinnerung“, erklärte Kiba ruhig. „Du beginnst, dich wieder zu erinnern.“ Tsume verzog die Mundwinkel. Ein Lächeln huschte über Kibas Lippen, und mit einem Mal fühlten sie sich alle als Rudel. Sie kannten sich kaum oder konnten sich nicht mehr an aneinander erinnern, sie wussten nicht, was für eine Gefahr in der Stadt auf sie warten sollte, genauso wenig, was für eine Rolle sie in diesem Spiel übernommen hatten, aber sie spürten alle instinktiv, dass sie Kiba folgen mussten. Für diesen einen Moment waren sie alle ein Rudel, das sich schon viele Jahre lang zu kennen schien, das spürten sie tief in ihren Herzen.
In dieser Nacht rannten die Wölfe und die Stute mit Lain auf ihrem Rücken unter dem Licht des immer voller werdenden Mondes über die Ebenen und Hügel und kehrten in die Stadt zurück, ohne zu wissen, was sie dort erwartete, nur mit der Gewissheit, dass ihre Pfoten wussten, wohin sie sie trugen.
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BeitragThema: KAPITEL 16   Wolf's Rain 2 EmptyMo Jan 05, 2009 8:30 pm

Ich könnte mal weiter schreiben ... XD

Sie rannte. Pfeifend fuhr ihr der Wind in die Ohren und verwirbelte das Haar, das in langen, rotbraunen Kaskaden um ihren Kopf peitschte. Rennende Füße und ein wild pochendes Herz flogen im Gleichklang über den nassen, glänzenden Asphalt. Feucht und schwer hing die staubgetränkte Luft in den Straßen, erfüllt von Angst und Mord. Sie hatte die Warnung gehört, aber nicht auf sie geachtet. Und jetzt rannte sie, rannte um ihr junges Leben.
Die junge Frau hetzte um eine Ecke und presste sich angsterfüllt gegen die klamme, feuchte Mauer, von der der Putz abbröckelte. Ihr Atem ging pfeifend, und ihre Brust hob und senkte sich im Takt ihrer Angst. Mit schmerzverzogenem Gesicht hob das Mädchen die Hände vors Gesicht, die es sich gegen die Seite gepresst hatte, und die blauen Augen weiteren sich erschreckt. Die Hände waren über und über mit Blut befleckt, das ihr langsam den Arm und die langen Lederbänder hinunter tropfte, die sich um ihre Handgelenke wanden. Das Mädchen starrte auf ihre Leiste herab, wandte den Blick jedoch keuchend sofort wieder ab. Ihr dunkelblaues Hemd hatte sich ein eine fleischige Masse verwandelt, von Blut getränkt und mit Schmutz verklebt. Dennoch spürte sie nicht den geringsten Schmerz – nur eine kalte, wuchernde, unaufhaltsam wachsende Panik. Sie waren hinter ihr her, und es gab kein Versteck, das sie nicht gefunden hätten. Sie würden sie finden.
Das aggressive, blutgeile Knurren und Bellen drang mit einem Mal wieder an ihr Ohr. Das Mädchen warf den Kopf hoch und presste sich keuchend noch tiefer in den Schatten des Gemäuers. Das Scharren von schartigen Krallen auf hartem Boden näherte sich, wurde lauter und bestimmter, fegte um die Ecke – und plötzlich waren sie über ihr, beißende, schreiende Schatten der Hölle, mit leergefegten Augen und blutbesudelten Schnauzen, um sich schlagend, schnappend und keifend. Das Mädchen wurde gegen die Mauer geschleudert, ihr Mund füllte sich mit Blut, und für einen kurzen Moment wurde ihr vor den Augen schwarz. Als sie wieder zu sich kam, hatten sich die Schatten zurückgezogen, standen mit gesträubten Mähnen um sie herum im Kreis und bleckten ihr die bluttriefenden, gefährlich schimmernden Fänge ins Gesicht. Das Mädchen versuchte, sich auf­zurichten, aber mit einem Mal schoss ihr ein fürchterlicher Schmerz durch die Hüfte. Als sie an sich herabsah, schloss sie wimmernd die Augen. An ihren Lenden klaffte eine Wunde, die zuvor nicht da gewesen war, und nun fraß sich der Schmerz mit all seiner Stärke und Kälte durch das zerfetzte Fleisch. Die junge Frau fiel nach vorne und öffnete den Mund zu einem Schrei, aber sie blieb stumm. Der rasende Schmerz hatte ihr die Stimme geraubt.
Der Himmel über ihr verdunkelte sich. Als sie aufblickte, schrak sie entsetzt zurück und versuchte wieder, auf die Beine zu kommen, aber ihre Füße scharrten nur kraftlos über die regengetränkte Erde. Alles Blut war aus ihren Beinen gewichen.
Über dem Mädchen türmte sich ein mächtiger Schatten in die Höhe. Seine Augen, das eine leuchtend gelb, das andere schillernd blau, funkelten böse. Die Lefzen verzogen sich zu einem triumphierenden Grinsen, das dem Mädchen Angstschauer über den Rücken trieb. Das dunkel­braune, schlammverkrustete Fell des riesigen Wolfs sträubte sich, als er einen Schritt auf es zu­machte. Der Schatten beugte sich zu ihr herab – und das Dunkel um sie herum wurde noch finsterer. Tödliche Fänge rasten auf sie zu, und zwei Augen blitzten mordgierig. Jetzt endlich war ihre Kehle frei – und sie schrie, schrie sich die Seele aus dem Leib, mit der hohen, dünnen Stimme eines Welpen in Todesangst. Dann legte sich eine blutgetränkte Stille über das tote Viertel. Es war vorbei.
Darcia trat zurück und ließ seinen Blick zufrieden über das schweifen, was vor ihm im Schmutz lag. Leblose Augen starrten ihn an, durchzuckt von einem unheimlichen Licht. Die Gestalt, die vor ihm kauerte, erhob sich langsam auf alle Viere und senkte sofort demutsvoll den pelzigen Kopf.
„Schwöre mir die Treue“, knurrte Darcia und reckte selbstgefällig die Schnauze in die Höhe.
Und die Gestalt, die aus dem Schatten gekrochen kam, streckte sich und tat es ihm gleich. Nichts mehr erinnerte an die panische Frau, die noch vor wenigen Augenblicken angsterstarrt zwischen Darcias Pfoten gekauert hatte. Sein Blick fiel auf den leblosen Körper des Mädchens, und ein Lächeln stahl sich auf seine Lefzen. Der riesige Wolf hob sein Haupt und sang ein volltönendes, tiefes Heulen in die Nacht hinaus. In seinen kräftigen Ruf mischte sich das dünne Winseln der Kreatur, die er gerade ins Leben gerufen hatte. Dieses Heulen besiegelte ihren Packt und machte ihn endgültig.

Der Rückweg zur Stadt führte das Rudel wieder über das endlose, karg bewachsene Hügelland, in das sich nur selten ein wärmender Lichtstrahl verirrte. Sie trabten unermüdlich und hielten immer nur kurz Rast. Nirgendwo nahmen sie die Witterung von Menschen oder gar anderen Wölfen auf – aus den Hügeln schien alles Leben geflüchtet zu sein.
Drei Nächte waren sie unterwegs, die Tage verschliefen sie. Jede Nacht überzog glitzernder Raureif die gefrorene Erde, und tagsüber wärmte die Sonne kaum noch. Den Wölfen wuchs der dichte Winterpelz, und so konnten ihnen die Launen des frostigen Mondes wenig anhaben.
Am Morgen der dritten Nacht konnten sie am Horizont die verschwommenen Silhouetten der auf­getürmten Stadt ausmachen, über der eine dicke, fette Smogwolke schillerte. Am späten Vormittag hatten sie die ersten Häuser erreicht und suchten sich eines der leerstehenden, verfallenen Gebäude als Versteck aus. Es stand etwas abseits der anderen Häuser, in denen nur noch wenige Menschen lebten, die meisten von ihnen zu alt oder zu schwach, um sie noch einmal verlassen zu können. Das kleine, schmale Haus bestand aus einem einzigen Raum, da die dünnen Trennwände schon lange eingestürzt waren und bloß noch ansatzweise aus den altersschwachen Mauern ragten.
Kawa sprang aus dem Sattel und hob dann Lain von Kages Rücken. Das Mädchen war inzwischen wieder fast bei Kräften und war froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Kawa band ihre Stute an einem Holzpfeiler vor dem Eingang an und folgte dann den anderen in Haus, die bereits hineingegangen waren. Als sie eintrat, wandten sich alle Köpfe der Wölfin zu, und sie blickte sie fragend an. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, obwohl ihr eigentlich überhaupt nicht zum Lachen war. „Was ist?“, fragte sie etwas irritiert, und ihr verwirrter Blick löste die Span­nung der anderen. Hige ließ sich grinsend nieder und wischte die mattenartige Staubschicht vom steinernen Boden, und die anderen taten es ihm gleich. So verschliefen die Wölfe den Tag, nur Kiba wachte immer wieder auf und war gegen Abend auch als Erster wach.
Er schlich sich an den schlafenden Wölfen vorbei zum Ausgang und lehnte sich in den türlosen Rahmen. Sein Blick glitt aufmerksam zu den anderen Häusern hinüber, und seine Wolfsohren nahmen jedes noch so kleine Geräusch auf, das ihm der kühle Abendwind vom dunkelblauen Himmel trug. Leise wieherte Kawas Stute neben ihm und blickte ihn aus großen, schimmernden Augen an, die Ohren aufmerksam gespitzt. Kiba starrte wortlos zurück, in seinen Gedanken und Gefühlen verloren.
Er hörte sie als Erster. Anfangs war es nicht mehr als eine Ahnung, die leichte, leise Erschütterung von Pfoten in schnellem Lauf. Kiba hob den Kopf und lauschte in die heraufziehende Nacht hinaus, in die schummerigen Lichter der Stadt hinein. Einige Sekunden lang war nichts zu hören, nur das unterschwellige Dröhnen und Summen des fernen Stadtkerns, sodass der Wolf bereits dachte, er hätte sich geirrt. Dann aber wurde Kage mit einem Mal nervös, sie hob den Kopf und lauschte konzentirert in das Dunkel hinein. Da erklang das Tapsen erneut, zuerst verstohlen und vorsichtig, dann immer rascher und bestimmter, drängender. Das Pferd begann unruhig zu tänzeln und knabberte nervös an den Zügeln, die es an den Pfahl banden.
Kiba richtete sich alarmiert auf und starrte in das Dämmerlicht des sterbenden Tages hinein. Was war das? Er kniff die Augen zusammen. Leise Schemen schnürten durch das Dunkel, auf leisen Pfoten, die keinen Grashalm brachen und die über die eisige Erde zu schweben schienen. Kibas Nackenhaare richteten sich mit einem kalten Kribbeln auf. Er witterte die Gefahr, die von diesen düsteren Schatten ausging, aber er war unfähig, sich zu rühren. Da war noch etwas. Ein leiser Hauch, nicht einmal ein Geruch, nur so etwas wie eine düstere Ahnung von etwas, das alle Be­drohung dieser Schemen noch übertraf. Ein Name, ein einziges Wort, das unsäglichen Schrecken und unzähmbaren Hass in ihm schürte. Doch als der Wolf das vielstimmige Hecheln hörte, war es bereits zu spät.
Ein lautloser Schatten nach dem anderen erhob sich aus dem Dunkel. Die fünf Wölfe griffen mit aller Heftigkeit an. Wie ein fünfschwänziger Blitz jagten sie aus den Schatten heraus auf das Haus zu, ihre Augen in einem leeren Glühen schimmernd. Die straff gespannten Ruten zuckten, das Nackenhaar sträubte sich, die Ohren waren eng angelegt. In ihren Sprüngen lag eine unkontrollier­bare, entfesselte Kraft, in ihren krallenbewehrten Pfoten blindwütige Gewalt.
Kage erhob sich panisch auf die Hinterbeine und wirbelte mit den Hufen durch die kalte Luft, die Ohren eng angelegt, das Gebiss zu einer starren Grimasse gebleckt. Ein hoher Schrei drang aus der Kehle der Stute und verhallte in der Nacht. Kiba war für einen Moment unfähig, sich zu rühren, und konnte nur mit zusehen, wie die fremden Wölfe auf ihn zuflogen, die Kiefer zu tödlichen Bissen geöffnet. Wütendes Knurren drang aus ihren Kehlen. Sie waren zum Töten bereit. Da sprangen plötzlich Hanpaku und Tsume in Wolfsgestalt hinter ihm aus dem Eingang, gefolgt von den anderen, um die Gegner abzuwehren. Kages Schrei hatte sie noch rechtzeitig gewarnt.
Vor Kibas Augen begann eine wütende Raserei. Die Wölfe gingen blindwütig aufeinander los, schlugen mit der ganzen Kraft ihrer Krallen und Zähne um sich, rissen Flanken und Läufe auf. Obwohl sie nur zu fünft waren, in der Unterzahl, schien ihre Stärke unbezwingbar - jeder der An­greifer schien die Kraft von gleich zwei Wölfen in sich zu tragen. Die anderen konnten sich nur mühsam gegen die riesigen Bestien verteidigen, die kaum noch etwas mit Wölfen gemein hatten. Sie waren größer, hatten kürzere und breitere Schnauzen und Klauen, die mehr an die Hände eines Menschen erinnerten als an die Pfoten eines Wolfes.
Plötzlich sprang Kiba vor und verkrallte sich in den Rücken eines Wolfes, der Hige zu Boden geworfen und die Pranke schon zum Schlag erhoben hatte. Mit aller Kraft rammte er seine Fänge in das schwarze Fell und schmeckte bitteres Blut, das über den Pelz floss und es schillernd tränkte. Der fremde Wolf schrie auf, aber es klang weder nach einem Knurren noch einem Bellen. Der Schrei hatte nichts wölfisches mehr an sich, genauso wenig wie die blutleeren Augen, die sich starr auf Kiba richteten. Aber der Hieb des Angreifers erwischte Kiba nicht mehr, da er bereits wieder ab­gesprungen war und im Kreis um den Wolf herum rannte. Hige kam strauchelnd auf die Beine und ging sofort wieder auf seinen Feind los, das Gebiss zu einem tödlichen Lächeln gebleckt.
Kiba sah unbesiegbar aus. Seine Augen flammten golden, die Muskeln unter makellos weißen Fell des Wolfes spielten. Immer und immer wieder sprangen sie den Schwarzen an, schwächte ihn, und konnten ihn schließlich gemeinsam in die Knie zwingen. Das Ungeheuer blutete aus unzähligen Wunden an Flanken und Hals. Kurzentschlossen rammte Kiba ihm seine Fänge in die Kehle.
Aber er nahm sich nicht die Genugtuung, ihm beim Sterben zuzusehen. Ein Blick über die Schulter ließ den Wolf herumfahren. Einer der Angreifer ließ von Toboe ab, der erschöpft zusammenbrach, und scherte plötzlich aus. Er schlug einen Bogen und stürmte direkt auf den Eingang zu, in dem Lain und Ohisama kauerten und den kämpfenden Wölfen verängstigt zusahen. Neben ihnen tobte Kage im Halbkreis um den Pfosten, aber die Riemen gaben nicht nach und fesselten das panische Tier, dem der Schaum über den ganzen Körper tropfte. Kawa sah die Bewegung aus den Augenwinkeln und wirbelte auf ihren Hinterbeinen herum. Mit wilder Entschlossenheit ging sie auf den Wolf los, als sie plötzlich von hinten angesprungen wurde. Das erdrückende Gewicht des riesigen Rüden warf sie zu Boden und presste ihr den Atem aus den Lungen. Der erste Wolf konnte sich losreißen und stürmte auf das Haus zu. Kawa sah, wie Lain einen Satz machte und hastig aus dem Eingang stürmte. Die Wölfin versuchte, sich unter den Klauen und Bissen ihres Gegners hervorzuwinden, aber es war sinnlos. Der Wolf streckte sich, flog über die gefrorene Erde. Er hatte Lain fast erreicht, riss schon das Maul auf – als zwei graue Blitze durch die Luft fuhren. Tsume und Hanpaku gingen auf den Wolf los. Der ältere der beiden Wölfe baute sich vor dem Fremden auf und schlug ihm die Kiefer in die Kehle, während Tsume auf seinen Rücken sprang und sich dort in das dicke Fell verbiss. Aber der Angreifer schüttelte sie ab wie zwei lästige Fliegen. Die beiden Wölfe prallten hart auf dem Boden auf und blieben einen Moment lang wie betäubt liegen, unfähig, sich zu rühren. Kawa konnte ihnen nicht helfen, sie selbst wurde in den Krallen des Wolfsrüden über ihr immer schwächer. Die Bisse des Wolfes hatten ihr eine tiefe Wunde in die Schulter gerissen, die sie fast bewegungsunfähig machte. Verzweifelt versuchte sie, den Gegner mit ihren Pfoten weg zu drücken, aber mit einem Mal knickten ihre Läufe ein, und der Schatten über ihr stürzte mit blitzenden Zähnen auf sie herab. Sie rollte sich zur Seite und schloss die Augen, auf den Schmerz gewappnet.
Aber er kam nicht. Stattdessen sprang der Schatten über sie hinweg, landete mit einem schweren Satz hinter ihr im Gras und rannte in gestrecktem Lauf fort, gefolgt von den anderen Wölfen. Keuchend blieb Kawa einige Sekunden lang in der aufgerissenen Erde liegen, bevor sie sich mühsam auf die Pfoten quälte. Der linke Lauf knickte unter ihrem Gewicht zusammen, aber die Wölfin konnte sich doch schwankend auf den Beinen halten. Als sie sich umsah, drang ein kurzes, fassungsloses Bellen aus ihrer Kehle. Sie brach wieder zusammen, und das letzte, was sie sah, war ein großer Schatten, der sich über sie beugte. Aber in ihrem Herzen war kein Platz mehr für Angst.
Die folgenden Stunden waren für Kawa eine Qual. Sie verlor ihr Zeitgefühl und konnte nicht sagen, wie lange sie zwischen unbändigem Schmerz und nachtschwarzer Ohnmacht trieb. Erinnerungen aus ihrer Jugend zogen an ihr vorbei, eine junge braune Wölfin im spielerischen Kampf mit einem jungen Rüden. Dann Bilder von sterbenden Wölfen, rasender Kugelhagel und ihr klagendes Heulen, als alles vorbei war. Ein Haus, das in sprühenden Flammen aufging ... Stationen ihres Lebens, die sie am liebsten vergessen hätte. Irgendwann versank Kawa in der Dunkelheit.
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BeitragThema: KAPITEL 17   Wolf's Rain 2 EmptyMo Jan 05, 2009 8:30 pm

Benommen schlug Kawa die Augen auf und blinzelte. Helles Licht fiel durch die unverglasten Fenster in das Haus und schmerzte ihr in den Augen. Vorsichtig richtete sich die Wölfin auf, aber der furchtbare Schmerz war verschwunden. Nur ein leises, dumpfes Pochen hallte noch in ihren Schultern wider.
Kawa sah sich um. Der Raum war verlassen, und sie selbst lag auf einem Bündel aus Decken. Von draußen klang helles Vogelzwitschern zu ihr herein. Die Wölfin schlug die Decken zurück, erhob sich unsicher und trat dann aus dem verfallenen Gebäude in die frühe Abendsonne hinaus. Vor dem Haus saßen die anderen und unterhielten sich leise, aber als sie Kawa bemerkten, verstummte das Gespräch plötzlich. Beunruhigt sah sie sich um.
„Was ist passiert? Wie lange hab ich geschlafen?“
Asa richtete sich auf und kam langsam auf sie zu. Auch sie hatte vom Kampf einige Wunden am Hals und an den Armen davongetragen, die aber bereits verheilten.
„Einen ganzen Tag lang.“ Sie zauderte, bevor sie weitersprach, und ein trauriger Ausdruck schlich sich in ihr müdes Gesicht.
„Sie haben Lain geschnappt“, sagte die Wölfin leise und legte Kawa die Hand auf den Arm, wie um sie zu trösten. In Kawa versteifte sich alles.
„Was haben sie?“, flüsterte sie mit rauer Kehle. Asa blickte sie nur stumm an.
„Wohin?“
„Es wird nicht schwer sein, sie zu finden“, warf Kiba ein und trat zu ihnen hin. An seiner Stirn prangte eine lange, schmale Wunde. „Die Wölfe waren Darcias Schergen. Wenn wir ihrem Geruch folgen, werden sie uns zu ihm und auch zu Lain führen.“
Kawa senkte den Kopf und trat einige Schritte von den anderen weg. Asa folgte ihr und die beiden Wölfinnen entfernten sich einige Meter vom Rudel. Kiba wandte sich an das Rudel.
„Wir müssen Darcia unbedingt finden und dieses Grauen beenden“, sagte er eindringlich.
„Warum ist dieser ... Darcia überhaupt eine Gefahr?“, fragte Toboe zögerlich. „Können wir nicht einfach von hier verschwinden und die ganze Sache vergessen?“ Hige nickte und blickte Kiba hoffnungsvoll an, aber dieser schüttelte den Kopf.
„Das ist nicht möglich“, entgegnete er ruhig. „Ich weiß nicht, warum uns das Schicksal wieder zu­sammen geführt hat, aber es wird einen Grund dafür geben. Was auch immer Darcia plant, wir müssen ihn aufhalten.“
„Das Schicksal, ja?“, kam Tsumes spöttische Stimme, aber schon im selben Moment wurde er wieder ernst. „Auch wenn ich das nicht gerne sage ... Kiba hat Recht. Ich spüre es jetzt.“ Er blickte zu Kiba hoch und erhob sich dann. „Ich werde mit dir kommen.“
Kiba schaute ihn wortlos an, nickte dann aber, und ein leises Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er wandte sich an Taiin.
„Was ist mit dir?“, fragte er. „Wir können dich nicht zwingen, mit uns zu kommen.“
Der Wolf schaute in die Runde. „Ich weiß nicht, von was für einer Gefahr ihr sprecht“, meinte er nachdenklich. „Aber alles ist besser, als alleine weiter zuwandern. Ich würde gerne mit euch gehen.“
Damit war die Sache beschlossen, und die Wölfe schauten zu Asa und Kawa hinüber, die sich an die Mauer des nächsten Hauses gelehnt hatten und miteinander sprachen.
„Lassen wir sie in Ruhe“, meinte Kiba nur und wandte sich wieder den anderen zu. „Dann lasst uns überlegen, wie wir vorgehen.“

Am Abend saß Kawa etwas abseits der anderen auf einem der vielen Felsbrocken, die überall ver­streut lagen, und starrte gedankenverloren in den kalten Sonnenuntergang. Leise Nebelfinger tasteten sich durch den Abend und der Geruch nach Regen lag in der Luft, der das goldene Rot des sinkenden Sterns schmutzig gelb färbte. Sie seufzte und fuhr sich über die Stirn. Ein nagendes Pochen rumorte in ihrem Kopf.
Asa trat neben sie und blickte sie besorgt an. „Störe ich?“, fragte sie vorsichtig. Kawa blickte zu ihr auf und schüttelte müde lächelnd den Kopf, sagte aber nichts. Asa ließ sich in das klamme Gras zu ihren Füßen nieder und verschränkte die Arme vor den Knien. Einige Augenblicke lang schaute sie die Wölfin abwartend an, dann folgte sie Kawas Blick und schaute nachdenklich in den Sonnen­untergang hinein.
„Willst du darüber sprechen?“, fragte sie schließlich, ohne ihren Blick abzuwenden. Kawa schwieg einige Sekunden, bevor sie sich von dem Stein neben Asa ins Gras sinken ließ. Eine Weile saßen die Wölfinnen so da, in den trostlosen Anblick der erkaltenden Sonne versunken, bis Kawa endlich die Worte gefunden hatte, die ihr auf der Seele lagen.
„Nachdem ich mein Rudel verlassen habe“, begann sie leise, „bin ich allein von Ort zu Ort ge­wandert. Nirgendwo war ich länger als ein paar Tage ... Aber dann kam ich zu dem Dorf, an dem wir vorbeigekommen sind.“
Asa nickte. „In dem Lain gelebt hat?“
„Ja.“ Kawa ballte und streckte ihre Hände nervös. „Ich bin da geblieben. Ein paar Wochen. Ich lernte eine Wölfin kennen, die schon seit einigen Monaten dort gelebt hatte. Unerkannt“, fügte sie hinzu. „Die Bewohner ahnten nichts von ihrem wahren Ich.“ Kawa seufzte und verbarg ihr Gesicht in den Händen. „Wir lernten uns näher kennen; sie hatte ein Kind, und so erfuhr ich, dass der Vater einer der Männer aus dem Dorf war. Er wusste, dass sie ein Wolf war. Und er muss geredet haben, denn schon als ich in den Ort kam, schlug ihr das Misstrauen der Bewohner entgegen. Sie merkten, dass sie anders war.“ Kawa hob den Blick und sah Asa von der Seite an. Ein verbitterter Ausdruck spielte um ihre Lippen.
„Sie haben ihr Haus in Brand gesetzt, in der Nacht, als ich das Dorf verlassen habe.“ Die Wölfin schüttelte den Kopf und fuhr sich durch ihre Haare, die im schwachen Sonnenlicht matt braun glänzten. „Sie haben gewartet, bis ich gegangen war, und dann haben sie ihre Wohnung niedergebrannt. Ich bin zurück, um sie zu retten“, flüsterte Kawa, und ihre Stimme klang rau, „aber ich konnte nur das Kind retten. Ashi starb in den Flammen.“
Asa sah aus. „War das ihr Name? Ashi?“, fragte sie leise.
Kawa nickte. „Ein paar Tage zuvor hatte sie zu mir gesagt, falls ihr etwas passieren würde, sollte ich mich um Lain kümmern.“ Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte zum Himmel hinauf, wo bereits die ersten Sterne schimmerten. „Als hätte sie etwas geahnt.“
Asas Kopf fuhr herum. Sie hatte es sich schon gedacht, aber nicht für möglich gehalten. „Lain ist dieses Kind?“ Kawa nickte bloß.
„Sie ist halb Wolf. Das erklärt natürlich auch, warum sie unsere wahre Gestalt sehen kann“, entfuhr es der Wölfin, und dann wurde ihr alles klar. „Du hast ihren Wunsch erfüllt und Lain großgezogen.“
Kawa schüttelte den Kopf. „Ich habe sie in die Obhut einer alten Frau gegeben. Ich habe nie er­fahren, ob sie von uns Wölfen wusste ... Aber sie war anders als der Rest. Bei ihr war Lain gut aufgehoben. Vor zwei Jahren ist sie gestorben, seitdem lebt das Mädchen allein.“
„Wissen die Bewohner nicht, dass sie die Tochter einer Wölfin ist?“
„Ich habe es so aussehen lassen, als wäre Ashis Kind mit ihr umgekommen. Keiner ahnt, wer sie ist.“
„Und Lain selber?“
Kawa schüttelte wieder den Kopf. „Ich habe ihr gesagt, ihre Eltern wären aus einem anderen Ort gekommen und dort durch ein Feuer gestorben ... Sie glaubt, ich hätte sie als kleines Mädchen in das Dorf gebracht.“
Asa nickte. Allmählich dämmerte ihr die Tragweite des ganzen. „Deswegen hat Darcia seine Wölfe geschickt? Aber wozu braucht er Lain?“
Kawa zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass wir sie wiederfinden müssen.“
Die Wölfin nickte und zog ihren Mantel enger um ihren Körper. Mit einem Mal fror sie, aber es war nicht die Kälte der einbrechenden Nacht. Die Wölfinnen blickten sich an, und sie wussten instinktiv, was die andere dachte.
„Ich werde nichts darüber erzählen, wenn du nicht willst“, sagte Asa vorsichtig, aber Kawa schüttel­te den Kopf. „Sie müssen es erfahren“, meinte sie und deutete auf das Rudel, das sich vor dem Ein­gang des Hauses zusammengefunden hatte. Leise Gesprächsfetzen drangen zu ihnen herüber. „Ich hab viel zu lange darüber geschwiegen.“
„Was ist mit Lains Vater?“, fragte Asa, während sie zu den anderen zurückgingen. Kawa blickte sie bedrückt an. „Ich glaube, er war unter den Mördern.“
Kages leises Schnauben klang durch den Abend.

An nächsten Morgen teilte sich das Rudel auf. Hanpaku, Toboe und Asa wollten mit Ohisama in die Stadt gehen und sich dort als Menschen getarnt unter die Bewohner mischen, um mehr über die Morde herauszufinden. Toboe war schlecht gelaunt, da sein Kater seit dem Abend des Angriffs ver­schwunden war. Kiba und die anderen warteten, bis sie gegangen waren, dann brachen sie ebenfalls auf und folgten den zwar schwachen, aber immer noch vorhandenen Spuren der Schergenwölfe. Die Fährten führten sie in Richtung des Fabrikviertels, das etwas abseits der Stadt in einer Senke lag. Die Wölfe näherten sich nur zögerlich dem verhassten Gebiet. Das riesige Industriegelände war größtenteils schon aufgegeben worden, und nur noch wenige Fabriken waren in Betrieb. Tiefe Schläge wehten zu den Wölfen herüber, wenn gerissene Stahlträger gegen ausgebeulte Tanks schlugen oder der kalte Wind durch zersprungene Scheiben und Transportbänder fuhr. Sie blickten sich unwohl an, und in den Augen der anderen konnten sie das Zaudern lesen. Aber schließlich trat Kiba vor und trabte zielstrebig in die Senke hinein, und die anderen folgten ihm schweigend. Zwischen hoch aufgetürmten Schloten und verfallenen, rostenden Hallen mit windschiefen Toren und zerschlagenen Fenstern schnürten die Wölfe unter dem toten Wind dahin. Ein beklemmendes, schwerfälliges Schweigen lag in der Luft, das mit jeder weiteren Müllhalde, mit jedem weiteren zusammengestürzten Schlot immer erdrückender wurde. Nur das leise Tapsen ihrer Wolfspfoten klang durch die staubige Stille der frühen Mittagssonne.
Dann standen sie im Schatten einer riesigen Montagehalle und starrten angestrengt in das Dunkel hinter dem eingerissenen Tor hinein. Leises metallenes Klacken drang aus der Halle und warf sein Echo an den rostüberwucherten Mauern zurück. Die Wölfe schlichen im Schatten des Gebäudes auf die Pforte zu und huschten hintereinander lautlos um die Ecke. Über ihnen öffnete sich eine meter­hohe Halle, deren Decke im Dunkel verschwand. Gerissene Förderbänder hingen aus der Höhe herab und pendelten gespenstisch im zugigen Wind, der durch das verfallene Gemäuer pfiff.
An die Wände gepresst schlichen sich die Wölfe vorwärts und folgten dem Geruch, der langsam immer stärker wurde. Kibas Blick wanderte durch die Halle, in der sich ausgefallene Maschinen und zersplitterte Kontrollpulte hintereinander reihten. Aus der Mitte des Daches fiel durch ein riesiges Loch ein heller Lichtstrahl auf den staubbedeckten Boden und erhellte das Dunkel für einige Meter. Und mitten im Lichtkegel lag die reglose Gestalt eines Mädchens.
Dann schloss sich ein Kreis aus schwarzen, knurrenden Schatten um die Wölfe und drängte sie mit blitzenden Zähnen und wirbelnden Klauen gegen die Mauer.
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